Ein Traummann auf Mallorca
schnell eine Decke und einen Korb aus meinem Zimmer. Und vielleicht hat Jolanda ja ein paar Leckereien für uns in ihrer Vorratskammer. Dann könnten wir ein richtiges kleines Picknick machen.“
„Ich will schaukeln!“ Aurora hüpfte aufgeregt von einem Bein aufs andere. „Darf ich? Bitte, bitte!“
Charlene lachte. „Natürlich, geh ruhig. Aber vorsichtig, verstanden? Ich bin in ein paar Minuten bei dir.“
Mit schnellen Schritten eilte sie nach oben zu ihrem Zimmer. Ihr fiel sofort auf, dass die Tür einen Spalt offen stand. Stirnrunzelnd drückte sie sie auf. „Hallo? Jolanda?“
Doch da war niemand. Und es sah auch nicht so aus, als wäre irgendetwas von ihren privaten Dingen angerührt worden. Charlene zuckte mit den Schultern. Vermutlich hatte sie die Tür heute Morgen einfach nicht richtig zugemacht. Sie öffnete den Kleiderschrank und holte den großen, handgeflochtenen Bastkorb heraus, den Jolanda ihr auf ihre Bitte hin besorgt hatte, und legte eine Wolldecke hinein. Fast jeden Tag machten sie und Aurora lange Ausflüge an den Strand. Das Meer direkt vor der Tür zu haben war einfach zu verlockend. Doch ausgerechnet die Menschen, die sich eine Villa in unmittelbarer Strandnähe leisten konnten, traf man ihrer Erfahrung nach am seltensten dort an. Vermutlich musste man, wenn man sich Luxus leisten wollte, so viel arbeiten, dass am Ende keine Zeit mehr blieb, all die Annehmlichkeiten zu genießen.
Als sie das Zimmer verlassen wollte, bemerkte sie aus dem Augenwinkel einen Gegenstand auf ihrem Bett, der dort nicht hingehörte.
Stirnrunzelnd stellte sie den Korb neben der Tür ab und ging zurück. Mitten auf der hübschen, mit üppigen Stickereien versehenen Tagesdecke lag, zwischen einigen Zeitschriften, die Jolanda ihr aus dem Ort mitgebracht hatte, eine Aktenmappe, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Und Charlene konnte sich beim besten Willen nicht erklären, wie sie hierhergekommen war. Es sei denn …
Hatte deshalb die Tür offen gestanden? Weil jemand in ihrem Zimmer gewesen war und den Ordner auf ihr Bett gelegt hatte? Aber warum sollte jemand so etwas tun?
Charlene nahm die Mappe und schlug sie auf. Im ersten Moment erschien ihr das, was sie sah, nur ein wirres Durcheinander von Namen und Zahlen. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie, was sie da in den Händen hielt. War das etwa …? Ja, das musste die Kundenliste von Javiers Firma sein. Aber warum …?
Plötzlich hörte sie Schritte auf dem Korridor und klappte den Aktenordner erschrocken zu. Im nächsten Augenblick wurde die Tür zu ihrem Zimmer aufgestoßen, und Javier kam herein.
„Ah, da sind Sie ja noch“, rief er. „Ich wollte Sie noch kurz sprechen, ehe Sie mit Aurora aufbrechen. Dolores sagte, Sie …“ Er stutzte, als er den Ordner in ihrer Hand bemerkte. „Was haben Sie denn da?“
Charlene schluckte, außerstande, ein Wort über die Lippen zu bringen. Würde er ihr glauben, wenn sie ihm die Wahrheit sagte?
Er nahm ihr die Entscheidung ab, indem er vortrat und ihr die Akte aus der Hand nahm. Nachdem er kurz hineingeschaut hatte, runzelte er die Stirn. „Wo haben Sie das her?“, fragte er scharf.
Eingeschüchtert zuckte sie zusammen. Was sollte sie sagen? Die Wahrheit, beantwortete sie sich ihre Frage selbst. Was sonst?
„Ich … Mir ist klar, dass das ziemlich unglaubwürdig klingen muss, aber ich habe die Mappe eben selbst zum ersten Mal gesehen. Sie lag zwischen den Zeitschriften auf meinem Bett, als ich ins Zimmer kam. Jemand muss sie dorthin gelegt haben.“
Javier musterte sie stirnrunzelnd. Sein Blick war durchdringend, und Charlene hatte das Gefühl, dass er bis auf den Grund ihrer Seele zu sehen versuchte. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Was würde jetzt geschehen? Eines stand fest: Wenn Javier zu dem Schluss kam, dass sie sich heimlich sensible Daten seiner Firma verschafft hatte, würde er sie auf der Stelle vor die Tür setzen. Und damit verlor sie nicht nur die einzige Chance, ihrem Vater zu helfen – nein! All die Fortschritte, die Aurora und Javier innerhalb weniger Tage gemacht hatten, standen auf dem Spiel. Wie würde die Sechsjährige reagieren, wenn ihre neue Bezugsperson – die einzige, die das Mädchen innerhalb der letzten Monate akzeptiert hatte – plötzlich wieder aus ihrem Leben verschwand?
„Bitte“, flüsterte sie heiser. „Sie müssen mir glauben, Javier. Ich weiß wirklich nicht, wie diese Unterlagen in mein Zimmer gekommen sind. Was sollte ich denn auch damit
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