Ein Traummann auf Mallorca
anfangen?“
6. KAPITEL
Javier musste sich eingestehen, dass er Charlene einfach nicht durchschaute. Die Frau war und blieb ihm ein Rätsel. Mal trat sie selbstsicher und fordernd auf, und im nächsten Moment wirkte sie scheu und ängstlich, so wie jetzt.
Ihre Geschichte war jedenfalls alles andere als glaubwürdig!
„Sie wollen also behaupten, dass diese Dokumente einfach so in Ihrem Zimmer gelegen haben?“
Charlene nickte energisch. „Ja, hier auf dem Bett. Ziemlich seltsam, nicht wahr?“
Dem konnte Javier nur zustimmen. Die Dokumente, mit denen er Charlene in flagranti erwischt hatte, gehörten nämlich definitiv nicht in unbefugte Hände. Es handelte sich um eine Aufstellung aller Kunden von Santiago Barco y Yate de Yard, mitsamt Adressen, Telefonnummern und Einstufung – eine Liste, die, wenn sie Graham Beckett in die Finger geriet, großen Schaden verursachen konnte.
Misstrauisch runzelte Javier die Stirn. Er wusste nicht, was er von der ganzen Geschichte halten sollte. Unwillkürlich musste er an Dolores’ mahnende Worte denken. Durfte er außer Acht lassen, dass Charlene die Tochter seines ärgsten Konkurrenten war? Was, wenn Beckett sie geschickt hatte, um für ihn zu spionieren? War es nicht verrückt, ihr zu vertrauen?
Zu seiner eigenen Überraschung hätte er genau das am liebsten getan. Seit Charlene bei ihnen lebte, herrschte in seinem Haus eine vollkommen andere Atmosphäre – was nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken war, dass sie so wunderbar mit Aurora umgehen konnte.
Die Stimme der Vernunft sagte ihm, dass er auf Dolores hören und vorsichtig sein sollte. Wer außer Charlene kam infrage, die Papiere genommen zu haben? Und warum sollte irgendjemand sie ausgerechnet in ihren Räumlichkeiten deponiert haben?
Auch Dolores hatte natürlich Zugang zu seinem Arbeitszimmer, ebenso wie Jolanda – aber für beide war er bereit, seine Hand ins Feuer zu legen. Konnte es sein, dass die Unterlagen durch ein Versehen hier gelandet waren? Hatte jemand sie vielleicht unabsichtlich zwischen die Zeitschriften gepackt?
Javier machte sich klar, dass die Erklärung ziemlich fadenscheinig klang. Doch schon um Auroras willen wollte er zunächst alle Alternativen in Betracht ziehen. Endlich hatte seine Tochter wieder zu einem Menschen Vertrauen gefasst. Er konnte ihr Charlene jetzt nicht gleich wieder entreißen. Würde ihre zarte Kinderseele diesen erneuten Verlust verkraften? Nein, das wollte er seiner kleinen Tochter nicht zumuten!
Und dir geht es dabei nur um Aurora, ja? Nicht vielleicht auch ein ganz kleines bisschen um dich selbst?
Rasch fegte er den unbequemen Gedanken beiseite und räusperte sich. „Das nächste Mal, wenn Sie irgendetwas in Ihrem Zimmer vorfinden, was dort nicht hingehört, kommen Sie damit bitte gleich zu mir.“
Charlene nickte hastig. „Ja, natürlich, aber … Ach, egal.“ Sie schüttelte den Kopf. „Was wollten Sie von mir?“
„Ich wollte Sie fragen, ob Sie etwas dagegen haben, dass ich Aurora und Sie begleite“, erwiderte er spontan. Eigentlich war das ganz und gar nicht seine Absicht gewesen, doch aufgrund der jüngsten Ereignisse hielt er es für besser, ein Auge auf Charlene zu haben. Und sei es nur, um sich selbst zu beweisen, dass an dem Verdacht, den Dolores ihm mit ihrem Gerede in den Kopf gesetzt hatte, nichts dran war, sondern dass Charlene einzig und allein Auroras Vorteil im Sinn hatte und nicht ihren eigenen.
Das ist es, was du willst, nicht wahr? Nun, dann pass bloß auf, dass du dich nicht in irgendetwas verrennst, alter Junge. Die Neigung, nur das zu sehen, was man sehen will, liegt bei den Santiago-Männern in der Familie, schon vergessen?
Unwillkürlich musste er an seinen Vater denken und an den Zwischenfall, der ihn und seine beiden Brüder Luís und Alejandro von den Eltern entzweit hatte.
Ein Zwischenfall, der einen Namen trug.
Laura Santiago.
Zumindest behauptete die Frau, die siebzehn Jahre nach dem spurlosen Verschwinden seiner jüngeren Schwester aufgetaucht war, Laura zu sein. Javier und seine Brüder hatten von Anfang daran gezweifelt. Doch Miguel, ihr Vater, war nie über den Verlust seiner geliebten Tochter hinweggekommen, und so hatte er sich nur allzu bereitwillig an den Strohhalm geklammert, den man ihm hinhielt, und die Hochstaplerin verteidigt – mit einem Starrsinn, der alle anderen Menschen, die ihm etwas bedeuteten, vor den Kopf stieß, bis sie sich schließlich wütend und enttäuscht von ihm abwandten.
Und genau
Weitere Kostenlose Bücher