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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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beleuchtet vom Mond zwischen den Wolken, vor meinem vorhanglosen Fenster schwankt. Ich werde das an den Anfang setzen, glaube ich, denn am unbarmherzigsten sind die Erinnerungen an das, was immer fehlte und auch im Tode nicht zum Abschluß gebracht werden kann. Sie liegen abseits im Schatten oder ragen so hoch auf, daß sie mit Worten nicht mehr zu fassen sind: wie die Liebe zum Beispiel, außer sie ist nur etwas nicht Unehrliches und nicht Gleichgültiges. Wenn ich also über irgend etwas schreiben soll, dann muß ich die Finger lassen von dem, was nie wieder gelebt werden kann.

     
    Weiter zu Ereignissen, die ich mir zu der Zeit notierte oder kurz darauf. Ungefähr drei Wochen nach meinem Einzug kam der Vikar zu Besuch. Er machte es mir einfach, das muß ich ihm zugestehen. Er versuchte erst gar nicht, sich neben mich zu quetschen, aber eigentlich wäre es mir fast lieber gewesen, denn so, wie wir uns dann in meinem »Arbeitszimmer« gegenübersaßen, auf meinen Umzugskartons leicht nach vorn gebeugt, war es fast unmöglich, ihm nicht direkt in die Augen zu schauen. Wenn die Seelensuche sein Beruf war, hielt er es offensichtlich für das beste, mir zuerst den Weg zu seiner zu zeigen, denn die Fenster zu ihr waren weit aufgerissen, außer er tat es nur, um seine Stirn zu runzeln und damit die unbeschwerte Schwammigkeit seiner unteren Gesichtshälfte zu kompensieren. Ein Kontrast bestand auch zwischen seinem ausgebeulten Tweedsakko, dem durchgescheuerten Priesterkragen und der scharf gebügelten Hose aus Kavallerieköper. Erst um die Dreißig, schätzte ich, hatte es aber ziemlich eilig, ein oder zwei Jahrzehnte dranzuhängen. Und die Art, wie er die Lippen zusammenpreßte und die Kiefermuskeln anspannte, wenn er lächelte, deutete auf einen grimmigen und zähen Glauben hin, den er an einem feuchten Februarnachmittag höchst ungern anderen Leuten aufdrängte. Das waren meine ersten Eindrücke, während ich mich fragte, wie schnell ich ihm sagen sollte, daß sein verlorenes Schäflein viel zu weit weg auf einer kahlen Hochebene auf der anderen Seite des Hügels graste.
    »Wissen Sie«, setzte er an, »ist mir ein Anliegen, bei Neuankömmlingen mal vorbeizuschauen, meine Telefonnummer zu hinterlassen, ist ja das mindeste, was man tun kann ... Ihre charmante kleine Kirche da ein Stückchen weiter oben, schaff’s nur alle vierzehn Tage dorthin, hab ja inzwischen zwei Gemeinden zu betreuen. Frühmesse. Kurz nachfragen, wo’s zwickt und kneift. Na ja, wer weiß, vielleicht gibt’s ja eines schönen Tages eine große Wiederbelebung des Glaubens, und weiß Gott, brauchen könnten wir die wirklich. Sie sind nicht zufällig ... ?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Eigentlich nicht. Das gehört nicht zu den Dingen, die mir ... Hab mich immer drum gedrückt... Eine ganz besondere Kirche, nicht, ziemlich alt ... ?«

    »Ach du meine Güte«, warf er dazwischen. »Ganz und gar nicht. Ist eigentlich schon erstaunlich, wie viele Leute sich um den Glauben herumdrücken, sich irgendwie ohne durchschlagen und auch ohne irgendwas, was über das rein Diesseitige hinausgeht. Aber ich habe da eben diese ganz große Geschichte, die alles zusammenhält und das Licht hereinläßt. Könnte das nicht so einfach ablegen ...« Er schaute mich an und biß sich auf die Lippe, wohl um ein Lächeln zu verhindern, das ich als selbstgerecht hätte interpretieren können. »Manchmal, da haben Sie natürlich absolut recht, sehe auch ich es aus der Distanz in einem beängstigenden Aufblitzen als nichts anderes als eine riesige, bunte Mischung von über die Jahrhunderte bewahrten Bildern, die von der Sprache recht straff zusammengehalten werden. Obwohl das ja eigentlich gar nicht das Wesentliche ist, nicht? Und ja, es ist eine ziemlich hübsche, kleine Kirche, aber in gewisser Weise sind sie das ja alle, besonders, haben Sie gesagt. Jede hat ihre eigene Geschichte. Eigentlich ganz ähnlich wie die Menschen.«
    »Darf ich Ihnen eine Tasse Tee oder sonstwas anbieten?«
    Er drückte den Rücken durch und zögerte einen Augenblick. »Vielen Dank, aber nein. Muß weiter. Es gibt Leute, die auf mich warten. Die Sterbenden zum Beispiel. Es gibt immer ein paar. Wie auch immer, könnten Sie ein wachsames Auge auf die Kirche haben, falls mal ein Dachziegel abrutscht oder sonstwas, lassen Sie es mich wissen. Und wenn ich Ihnen mal behilflich sein kann. Und, das hätte eigentlich am Anfang kommen müssen, ich hoffe, Sie werden glücklich hier.«
    Auf dem Weg

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