Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
nicht daran denken, was mich das kostet.«
»Komisch, was? Ich sag dir jetzt mal eins, es ist armselig, was du an Aktiva zu bieten hast. Ich pfeife auf das, was da für mich abspringt, ist ja langweiliger als Zinsen auf einem Sparbuch. Davon und von den schrumpfenden Dividenden könnte ich nicht leben ...«
Anhand ihrer Stimme versuchte ich mir vorzustellen, um wieviel weniger liebenswürdig als sonst sie aussah, wie die Lust in ihren Augen zu Verachtung wurde, aber ich sah nur, wie sie sich abmühte, die richtigen Formulierungen zu finden, vermutlich Zitate von einem ihrer Bankkollegen. Sie klangen recht vielversprechend. Nur schade, daß sie sie so verpatzte. Aber so schlecht hast du auf meine Kosten in letzter Zeit nicht gelebt, wollte ich eben sagen, stand dann aber auf, legte ihr die Hand aufs Kreuz oder tiefer und murmelte: »Dann geh ich mal lieber. Kann’s nicht leugnen, die Hausse ist raus aus unserer Börse, unsere Einlagen werden immer weniger wert. Wir wären nie damit über die Runden gekommen ... Wenn nur die Lust das Investment bestimmt. Du ...«
»Ach, schieb dir deins doch sonstwohin!« rief sie. Schwang da ein Schluchzen in ihrer Stimme mit, auf das ich mit einem Schluchzen oder etwas Ähnlichem meinerseits hätte reagieren können, zum Beispiel die Hand weiter runterwandern zu lassen, anstatt in meine Hosentasche, um die Autoschlüssel herauszufischen? Wir hatten eine so gute, belebende Zeit zusammen, und wie oft hatte ich mir gratuliert, was für eine, nun ja, lohnende Investition das doch sein könnte, etwas, an das man sich, wenn auch nur schwach, an langen, späten, letzten Winterabenden erinnern könnte. Ich zog meine Autoschlüssel heraus und machte zwei Schritte auf die Tür zu.
»Liebste«, sagte ich, »ich habe nicht gesagt ...« Hier an der Tür, den Knauf bereits in der Hand, machte ich einen letzten Versuch. »Schau mich an«, sagte ich, »laß mich dich ein letztes Mal so sehen, wie es am Anfang war.«
Aber sie drehte sich nicht um. Ich glaube, sie hielt den Atem an. Ich wünschte mir, sie würde jetzt unverblümt sagen: »Es hätte nicht funktioniert, Tom. Es gibt noch einen anderen. Es wird immer einen anderen geben.«
Nein, das wünschte ich mir überhaupt nicht. Ich war froh um jeden Grund, sie nicht zu mögen, da ich in dem Augenblick mehr denn je liebte, was ich gleich verlieren würde. Ich drehte den Knauf, und sie wiegte sich leicht in den Hüften und strich sich
dann von der Taille abwärts über den Rock, als würde sie die letzten Spuren meines wiederholten Grabschens abwischen.
»Du hast recht«, sagte sie sanft. »Es tut mir leid, aber nur du, nur ich, das wäre langweilig geworden, so langweilig. Auch für dich.«
Ich ging noch einmal zum Tisch und griff an ihr vorbei nach der Weinflasche. »Das meinst vielleicht du. Du hast doch nichts dagegen, daß ich die mitnehme, oder?«
Und das war’s dann. Ich berührte mit der Flasche ein letztes Mal ihren Hintern und ging. Keiner von uns rief an. Erinnerungen blieben, und wie. Dieses unvergleichliche Hüftwiegen, der kurze Kontakt der Flasche mit ihrem gestrafften Fleisch, ihre anfängliche Lust, die mir schmeichelte und mich Liedchen trällern ließ und mir Rückenschmerzen und neue Lebenslust bereitete und mich dazu brachte, daß ich mir morgens im Spiegel zunickte und mir sagte: Wisch dir dieses überhebliche Grinsen vom Gesicht.
Als ich auf die Straße trat, merkte ich, wie schäbig es gewesen war, diese Flasche wieder mitzunehmen. Daß jemand einen für eine Weile glücklich und mit sich selbst zufrieden macht, verdient zumindest ein Abschiedsgeschenk aus einem der teuersten Weingüter Frankreichs.
Anfang März und Frühling in der Luft: eine Einladung zur Verzweiflung, wie es kaum eine bessere gibt, aber reden wir nicht mehr davon. Sowohl mein Sohn wie meine Tochter haben angerufen und werden mich irgendwann einmal besuchen. Das ist zwar eine sehr gute Nachricht, aber Adrian scheint es alles andere als gutzugehen, das merkte ich am fröhlichen Klang seiner Stimme ... Was ich den ganzen Tag treibe? Manchmal fahre ich einfach so durch die Gegend, oft an die Küste, wo ich zusehe, wie die Fischerboote an den Strand gezogen werden, und mir dann etwas Fisch kaufe. Vielleicht Mittagessen in einem Pub. Eine Stunde im Garten, Abendessen, ein Thriller, Fernsehen. Diese Zeilen müssen für heute reichen. Gestern waren zwei attraktive Frauen im Pub, mit Männern. Beide haben mich angelächelt. Ich hatte sie
Weitere Kostenlose Bücher