Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Träger des OBE, des Order of the British Empire, sei. Wir standen zu der Zeit im Laden, und nachdem er mir gesagt hatte, ich müsse ihn unbedingt besuchen, ließ er sich weiter darüber aus, wie gut es ihm im Leben gegangen sei, so daß ich mich bald fragte, warum er eigentlich nicht noch sehr viel mehr erreicht hatte.
Als eine Pause entstand, in der er von mir erwartete, daß ich sie mit eigenen Großtaten füllte, murmelte ich mit einem schnellen Blick auf die Karte: »Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Obe.« Denn Jenners konnte nur ein Name sein, der ausschließlich im engsten Freundeskreis verwendet wurde. Das
alles in einem blendend idiotischen Geistesblitz, aber es verwirrte ihn doch so sehr, daß er hastig nach seiner Dose Kochschinken griff, sie in seine Einkaufstüte steckte und mir einen guten Tag wünschte mit einem höflichen, aber unkameradschaftlichen Lächeln, das die Entdeckung, daß aus seinem Kochschinken meine Feuerbohnen geworden waren, kaum überdauert haben dürfte. (Ich nehme hin, daß ich auf die meisten Leute bei der ersten Begegnung eher unscheinbar wirke. Siebenundzwanzig Jahre im Import/Export-Geschäft haben mir keine nennenswerten, klar umrissenen Meinungen vermittelt, und ich bin nicht gerade das, was man einen imposanten Mann nennen könnte. Eigentlich sehe ich ziemlich gewöhnlich aus und klinge vermutlich auch so, da ich versuche, meinen Midlands-Akzent möglichst flach zu halten und mit der kleinstmöglichen Lücke zwischen meinen unauffälligen Zähnen zu sprechen. Genug davon; ich habe ja schon zuvor in einiger Ausführlichkeit dargelegt, daß ich durch und durch gewöhnlich bin.)
»Gewöhnlich« ist das Wort, das meine Mutter manchmal im Laden zur Charakterisierung von Kunden benutzte, während mein Vater im Hinterzimmer die Buchhaltung machte. Oder »vulgär«. So nannte sie dann auch die Angewohnheiten meines Vaters, als er älter und kränker wurde und soff und keuchte und hustete und schnaufte, so als wäre das Alter eine Phase, die man so schnell wie möglich hinter sich bringen und erst dann an einen Kleiderwechsel denken sollte. Einmal sah ich, wie sie sich die Nase zuhielt, als er in ihre Nähe kam. Sie merkte, daß ich sie beobachtete, und tat dann so, als würde sie sich die Nase reiben, wußte aber, daß es zu spät war. Doch wenn er abends vor dem Feuer schnarchte, betrachtete sie ihn mit strengem Mitleid und Sehnsucht, nicht mit Abscheu. Und mit einem kleinen Funken Stolz sagte sie mir, daß er »wieder über seinen Büchern brütet«. Das stellte ich mir dann so anstrengend vor, daß es mir durchaus einleuchtete, warum er sein Glas so oft aus der Flasche mit der goldenen Flüssigkeit und der Siphonflasche auf der Anrichte füllen mußte. Deshalb verstand ich auch den ständigen Tadel meiner Mutter nicht, er dürfe keinen solchen
Raubbau mit seiner Gesundheit treiben und man müsse sich nach der Decke strecken. Manchmal nannten sie mich ihr »ein und alles«, und einmal fügte mein Vater hinzu: »Hättest sie fast umgebracht, deine Mutter, als du auf die Welt kamst.« Bei einer anderen Gelegenheit erzählte er mir, der Arzt habe ihn gewarnt, daß er sich womöglich zwischen ihr und mir entscheiden müsse. So daß ich mich ständig beobachtet fühlte, als würden sie nach einem Mangel an Einzigartigkeit und Dankbarkeit suchen, und viel Zeit damit verbrachte, meinen Kummer darüber zu verstecken, daß ich nicht viel mehr war als Fleisch und Knochen und ein paar Gedanken im Kopf, die jeder hätte haben können. Erst als Teenager kam ich damit zurecht, daß ich alles andere als einzigartig war – vor allem im Fleisch –, geil durch und durch, meine ich, wie Sie sicher bereits vermutet haben, denn mit der Geilheit ist man ja nie ganz durch. Also wurde ich Fremden gegenüber verschlossen, wie ein Verdächtiger eines Verbrechens, das ich erst noch begehen mußte, und nahm die gute, alte, schützende Gewohnheit an, für mich zu bleiben. Allerdings lernte ich in den späteren Jahren meines Erfolgs, in Clubräumen und Sitzungssälen meine Hand auf Arm oder Rücken der Besten zu legen, und Einschmeichelung, ich glaube, so heißt das, wurde mir zur Lebensart. Gewöhnlichkeit gehörte nicht dazu. Meine Mutter wäre nicht stolz auf mich gewesen. Oder vielleicht doch? Wenn ich es nur wüßte. Das wünsche ich mir jetzt mehr als alles andere. Aber es ist eben so ein Abend. Wenn der Wind im tiefen Winter an der Tür rüttelt und ein hoher Strauch, unstet
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