Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
alte Kuddelmuddel und die alten Hirngespinste wieder emporzuholen. Es tut mir wirklich leid, Maureen, in diesem Augenblick fehlst du mir mehr, als ich je sagen kann.)
Das Altenheim war ein von der Straße zurückgesetztes Landhaus. Es sah elisabethanisch aus, zumindest zeigte es ziemlich dunkles Fachwerk. Im Garten standen zwischen Bänken, rechteckigen und runden Blumenbeeten und Kieswegen diverse Zierbäume. Der Mann aus Cromer stieg in meiner Achtung. Die Sonne schien wieder, und der frisch gemähte Rasen leuchtete in Schwaden wie ein riesiger, zum Trocknen ausgelegter Samtvorhang. Dieses Grün ließ Maureens Kleid, das fast denselben Ton hatte, billig aussehen. Ein Gärtner faßte eben den letzten Grashaufen mit einem Rechen zusammen und streute ihn auf einen Gemüsegarten.
Die Frau, die uns gleich darauf die Tür öffnete, schaute auf ihre Uhr. Ich sagte, wir seien hier, um Miss Phipps’ Koffer abzuliefern, was sie dazu brachte, noch einmal auf die Uhr zu schauen. Die Halle, in der sie uns stehenließ, war mit Holz getäfelt und sehr prächtig, mit einer breiten Treppe und einem dunkel glänzenden Geländer, wobei jedoch die Wirkung des Ganzen verdorben wurde durch ein halbes Dutzend sandfarbener Kunstledersessel voller Risse und Dellen, die aussahen, als würde gleich irgendein üppiger Pilz hervorsprießen. Wir setzten uns mit einigem Abstand voneinander und schwiegen.
Aus den beiden Korridoren, die von der Halle wegführten, drangen schwache Geräusche zu uns: ein langes, zögerliches Wimmern, ein abruptes Kichern, ein Klappern von irgend etwas, das zu Boden fiel, gefolgt von einem Johlen, ein hoher Liedfetzen, der in ein Stöhnen überging. Maureen schlang die Arme um die Brust und schaute auf den Rasen hinaus.
»Ach bitte, lassen wir ihn doch einfach hier und gehen wir«, sagte sie.
Aber dann kam die Heimleiterin zusammen mit der anderen Frau, die hinter ihr Entschuldigungen murmelte. Sie lächelte uns
knapp an, ohne die Hände von der Taille zu nehmen. »Es ist zwar schon ein bißchen sehr spät, Mr. Ripple, aber es ist wirklich sehr freundlich von Ihnen. Ich habe Miss Phipps gesagt, daß Sie kommen, aber ich fürchte, die liebe alte Dame ...«
»Sie schläft bereits, Heimleiterin«, sagte die andere Frau unvermittelt.
»Na ja, dann werden wir sie aufwecken müssen, nicht? Sie dösen den ganzen Tag, und dann können sie nachts, wenn’s für uns am schwersten ist, nicht schlafen. Sie hatte keinen Besuch mehr seit ich weiß nicht mehr wie lange. Ich vermute, Sie wollen sie sehen?«
Das war eher an Maureen gerichtet, die noch immer am Fenster saß und auf den Rasen hinausschaute. Sie drehte sich halb um und sagte: »Eigentlich haben wir nicht soviel ...«, und ich fiel ihr ins Wort: »Na ja, wenn Sie sicher sind, daß ...«
Maureen schaute mich an und schüttelte heftig den Kopf. Die Heimleiterin sah es und lächelte. Dann runzelte sie plötzlich die Stirn, als würde sie irgendeine Kleinigkeit beiseite wischen, die sie bis dahin übersehen hatte. »Na, dann los«, sagte sie forsch. »Ich bin mir sicher, sie freut sich, was über das Häuschen zu hören.«
»Ehrlich«, sagte Maureen sehr deutlich.
Die Heimleiterin warf ihr einen schnellen Blick zu. »Dann kommen Sie mal mit. Margaret, laufen Sie und warnen Sie sie vor, aber dalli dalli ... Bei Fremden glaubt sie immer, sie sind gekommen, um bei ihr Maß zu nehmen für den Sarg.«
Ich nahm den Koffer und folgte ihnen den Korridor entlang, ohne nachzusehen, ob Maureen ebenfalls mitkam.
»Jeder kommt hierher, um zu sterben, das ist alles, was Sie wissen müssen«, sagte sie leise. »Sie hören die Krankenwagen vor-und wieder wegfahren, das Gemurmel und die Schritte im Gang. Am nächsten Tag sieht man sie dann im Fernsehzimmer, wo sie versuchen herauszufinden, wer nicht mehr da ist.«
Wir blieben stehen, während die andere Frau vorauseilte und in einem Zimmer am hinteren Ende des Gangs verschwand.
»Warten wir ein paar Minuten«, fuhr die Heimleiterin fort.
»Ich mache diese Arbeit schon seit Jahren, und ich habe noch immer keine Ahnung, was in ihren Köpfen eigentlich vorgeht.«
»Als mein Vater im Sterben lag«, flüsterte ich, »sagte er mir, es sei, als wäre man immer irgendwo anders. Als würde man in der Abenddämmerung durch leere Zimmer wandern, sagte er, auf der Suche nach jemandem, mit dem man ein Schwätzchen halten könnte, aber alle sind weg, ans Meer gefahren oder sonstwohin. Er meinte, einmal habe er sich selber gesehen,
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