Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
warten würde, der auf einer Wiese singt.
Dann kamen wir ans Meer und zu einem Vogelreservat, einer mit hohem Schilf oder Gräsern bewachsenen Naturfläche, die auf
der ganzen Welt berühmt ist. In der Ferne waren einige Badende und Spaziergänger zu erkennen, und ganz in der Nähe lagen ein paar Leute auf dem Rücken. Das Meer war kabbelig und glitzerte nicht, und wir stolperten darauf zu und in den Wind, der ihr das dunkelgrüne Kleid an den Körper preßte und ihr so in die Frisur fuhr, daß sie sie festhalten mußte. Inzwischen schien die Sonne nicht mehr, die Badenden packten bereits ihre Sachen zusammen, und die Spaziergänger beeilten sich, landeinwärts zu kommen. Nur die Leute auf dem Rücken blieben liegen. Nirgendwo war ein Vogel oder ein Schiff zu sehen, und auch der Meergeruch fehlte. Plötzlich passierte überhaupt nichts.
»Ich fürchte, das ist alles ziemlich ereignislos«, sagte ich und nahm ihre Hand, und gemeinsam stapften wir über den Kies zum Wasserrand. »Am Nachmittag kommen ein Stückchen weiter oben die Fischerboote herein.«
Sie drückte mir fest die Hand und ließ sie dann los. »Das Meer macht mir angst, wenn es so ist wie jetzt, wenn die Sonne nicht scheint und so und wenn keine Leute drin sind. Ich bin dann immer ganz verunsichert und weiß nicht, was ich denken soll.«
Ich nahm wieder ihre Hand. »Du meinst die ganzen Wracks unter der Oberfläche, die Gefahr des Ertrinkens. Schlimmer als unterm Sternenhimmel, man kommt sich wirklich ganz unbedeutend vor. Wir haben nicht die geringste Ahnung, was unter der Oberfläche los ist. Wenn es einen Gott gibt, dann ist das sein Element. Meistens eine glatte, friedliche Oberfläche, aber darunter ist es wild und erbarmungslos.«
»Das habe ich nicht gemeint«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was das mit Gott zu tun haben soll.«
Eine Weile standen wir schweigend da, während das Meer mit einem sanft schwappenden Geräusch zurückwich. Dann ging sie voraus zum Auto zurück, die Arme um den Körper geschlungen, kletterte sie den Abhang hoch, wunderschön unbeholfen, die Erinnerungen, die es weckte.
Gegen halb fünf erreichten wir Nanny Phipps’ Heim, nachdem wir zuvor in einem Tearoom Rast gemacht hatten. Ich dachte zuerst,
die Kellnerin würde mir anzügliche Blicke zuwerfen, aber dann merkte ich, sie tat es nur, um mir zu verstehen zu geben, daß sie wisse, was ich im Schilde führte, indem ich Maureen den Stuhl zurechtrückte, ihre Strickjacke nahm, sie fragte, ob sie der Luftzug störe. Als Maureen zur Toilette ging, baute sie sich vor mir auf, ließ mich ihren Duft riechen und erzählte mir von den Kuchen im Angebot. So ein hübsches, blauäugiges Ding, und wie sie mich mit ihrem Mitleid anstachelte: Das ist ein Körper, den du nie haben kannst, du müder, alter Sack, alles würdest du dafür geben, was ...
»Flirten wir mit der Kellnerin?« fragte Maureen, als sie zurückkam.
»Absolut nicht. Ich habe sie sofort durchschaut, sie tut mir nur schön, damit’s mehr Trinkgeld gibt. Seltsam, wenn du mich fragst, diese jungen Leute heutzutage, was sie so alles treiben, das ist die absolut unterste Schiene.« Ich schaute kurz zu der Kellnerin hinüber, die sich eben über die Theke beugte, um unsere Bestellung weiterzugeben. »Schöne Aussichten.«
Das war vulgär, regelrecht geschmacklos, wie der altbackene Kuchen, den das Mädchen uns schließlich brachte. In diesen Minuten konnten Maureen und ich uns nicht in die Augen schauen. Sie wußte Bescheid. Ich wußte Bescheid. Wir alle wußten Bescheid. Keiner von uns fand es auch nur im geringsten lustig, ich allerdings grinste. Plötzlich liebte ich sie, in ihrer ganzen Zimperlichkeit und Mißbilligung, und ich dachte an die vergangene Nacht und daran, was sie so freizügig mit mir geteilt hatte, in diesen Stunden, als ich sie auch noch mit dem größten Unsinn zum Lachen hätte bringen können.
(Muß man da weitermachen, jetzt, mehrere Monate danach, muß man bei diesen idiotischen Zweifeln verweilen wie in einem Haus voller windschiefer Zimmer, dessen Türen und Fenster knarren und dauernd aufschwingen, als würden Geister darin wohnen? Ich lausche dem Wind draußen und würde jetzt lieber unter einem Vollmond am Meer stehen und zusehen, wie die Wellen sich im Pfad seines Lichts kräuseln und brechen, nie irgendwo gleich, eine beständige Neuordnung der Ewigkeit, immer nach
vorn und nach außen, unerreichbar für Worte wie diese, anstatt nach innen und nach unten zu sinken und das
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