Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
er eine Woche lang hinter dem Schreibtisch des jungen Hipkin in der Ecke stehen muß oder daß er mit Tränen in den Augen zu mir kommt und jammert: »Ach, Tom, mein lieber Freund, endlich habe ich mein wahres Ich erkannt.« Dafür hasse ich ihn am meisten, daß er in der Stille der Nacht in meinen kindischen Phantasien auftaucht, vor dem Hintergrund des ruhigen Atmens meiner Frau, und daß er mich dazu bringt, mit den Zähnen zu knirschen, denn das erinnert mich daran, daß ich nichts Besseres habe, was mir durch den Kopf geht, wie etwa die wirklich großen Dinge des Lebens, und daß ich manchmal Schwierigkeiten habe, mich über mich selbst
zu erheben (vor allem, wenn ich in den frühen Morgenstunden auf dem Rücken liege).
Mir kommt der Gedanke, daß ich Webb auf Plaskett ansetzen könnte. »Mr. Webb«, könnte ich sagen, »da gibt es einen gewissen Mr. Plaskett, der irgendwo in der Hampstead Garden Suburb lebt, und ich möchte mehr über ihn wissen.« Ich würde hinzufügen, daß er gewisse schlechte und sonderbare Verhaltensweisen zeigt, die eine Gefahr für die Gesellschaft insgesamt sind, und daß es in ihrem Interesse wäre, wenn er nicht länger existierte. Ich würde das sagen mit dem Gesichtsausdruck, den meine Frau immer aufsetzt, wenn sie von Grundstücksspekulanten spricht, oder meine Tochter, wenn ich Blumen mit meinem Badminton-Schläger die Köpfe abschlage. Ich würde gern glauben, daß Plaskett geheime Laster hat, wobei ich allerdings zugeben muß, daß ich ihn wohl weniger verabscheuen würde, wenn ich glaubte, er hätte ein Privatleben. Ich hätte gern etwas gegen ihn in der Hand, so daß ich Andeutungen machen könnte. Ich stelle mir jährliche Unterredungen vor, die etwas anders ablaufen als die eben beschriebene. Zuviel Leerlauf bei den Schreibkräften, aber man sitze fest im Sattel und erwarte kein Lob, die Zahlen seien gut und mit den Geschäften gehe es bergauf, und in seiner Position könne man es sowieso nicht jedem recht machen, doch dann plötzlich von mir gewisse Stichworte und Formulierungen (mit einem festen Blick in seine Augen und nur der Andeutung eines Zwinkerns in einem der meinen), wie etwa Grabschen, Schnüffeln, der wohlverdiente Business-Tripper, exklusive Separees, Gruppenarbeit und Neunzig minus Einundzwanzig und auch mal ausprobieren ...
Ich notiere mir die Möglichkeiten auf meinem Schreibblock und schäme mich dann, vor allem, weil der junge Hipkin ein paar davon gesehen und mir einen komischen Blick zugeworfen hat, so ziemlich das einzige Mal, daß er mir je in die Augen gesehen hat. Ich würde Hipkin gern helfen. Ehrlich. Er ist völlig ohne Ehrgeiz, Elan, Energie, Eifer und den ganzen Rest — eigentlich eine extreme Version meiner selbst. Ich habe keine Ahnung, was ihn in Schwung hält. Ich weiß nicht einmal, ob ihm seine Arbeit Spaß
macht oder er sie haßt. Ich hätte nichts dagegen, wenn er eines Tages zu mir kommen und mir sagen würde, daß sein Job (vorwiegend Ziffern in Karteikarten eintragen) gräßlich langweilig ist, was er ja tatsächlich ist. Wenn ich ihn frage, wie’s läuft, sagt er, ganz okay.
Hipkin ist ungefähr neunzehn und sieht alles andere als attraktiv aus — sogar noch um einiges weniger attraktiv als ich zum Beispiel —, obwohl wir ungefähr die gleiche Physis haben mit gedrungenen Körpern und kurzen Beinen und mit Lippen, Nasen und Ohren, die zwar eher klein sind, aber vor- oder abstehen. Unsere Wangen sind rötlich, und unsere Haut ist glatt. (Ich glaube nicht, daß er sich schon rasiert, und bei mir hält eine Klinge eine Ewigkeit. Einmal konnte ich einen kurzen Blick auf seine Wade erhaschen. Sie ist bleich und fast haarlos, wie die meinen.) Unsere Augenbrauen sind schütter, aber stoppelig, was von eigentlich ziemlich eleganten Wimpern ein wenig wettgemacht wird, unsere Haare haben diesen glanzlosen, hellbraunen Farbton, der immer mit Mäusen in Verbindung gebracht wird, und sie werden flaumig und stehen ab, wenn sie gewaschen werden — die seinen offensichtlich weniger häufig, was auch an der bei ihm (meistens) größeren Menge an Schuppen zu erkennen ist. Abgesehen von der Tatsache, daß meine Gesichtszüge zusammengenommen ein neutrales Ganzes ergeben, so daß ich der letzte bin, den Sie in einer Menge bemerken würden (wohingegen Hipkin Ihnen schnell am Rand der Menge auffallen würde, als einer, der irgendwie durch Zufall hineingeraten ist und beständig angerempelt oder beiseite geschoben wird), besteht der
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