Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
auch, ein wenig unter ihr. Unsere erste Begegnung im Laden lief folgendermaßen ab:
»Na, schon ein wenig eingelebt?« fragte ich. »Sagen Sie mir nur Bescheid, wenn Sie irgendwas ...«
Er grinste, als hätte ich etwas Schockierendes gefragt.
»O ja, und wie! So weit weg von der Hektik und dem Streß in der Stadt.« Er schaute kurz seine Frau an, als wollte er sich versichern, daß er auch den richtigen Tonfall gefunden hatte, und fügte dann hinzu: »Iss großartig hier.«
Ich war zu der Zeit Kassenwart des Kirchenrenovierungsfonds, und konnte ihm bei dieser Gelegenheit für die 15 Pfund danken, die seine Kinder in einem Luftpostumschlag mit einer belgischen Marke darauf vorbeigebracht hatten. Nach der Art, wie sie mich ansah, vermutete ich, daß sie ihn schon wegen ganz anderen Dingen zur Schnecke gemacht hatte.
»Wir sind keine großen Kirchgänger, um ehrlich zu sein«, sagte er. »Aber wir können doch nicht zulassen, daß unser historisches Erbe in die Brüche geht, nicht, Liebling?«
Sie drückte eben Avocados, und offensichtlich hatte sie dabei weder mich noch das historische Erbe im Sinn.
»Schon mächtig anständig von Ihnen, daß Sie trotzdem Ihren Beitrag leisten. Verdammt guter Auftritt...« So kam es zumindest heraus, wie ich zu meinem Bedauern sagen muß, und deshalb fügte ich hinzu: »Der Vikar hat sich sehr gefreut ... Hat Ihnen sicher schon seine Aufwartung gemacht, oder?«
Sie ging zwischen uns hindurch zur Ladentheke. Mir fiel auf, wie penibel geplant ihr Gesicht war, der lippenfarbene Lippenstift
und die haarlos symmetrischen Augenbrauen. Diese schossen jetzt in die Höhe.
»Wir hatten nicht die blasseste Ahnung, worüber er eigentlich sprach«, sagte sie, und das Näseln rückte ihre Stimme in eine Klasse deutlich über der seinen.
»So würde ich das nicht sagen, meine Kleine. Er hat uns was zum Nachdenken gegeben.«
»Sagst du. Charmant war er wohl.« Sie rümpfte die Nase. »Aber wollen die denn nicht, daß man ihnen vertraut? «
Ihr Ehemann schaute hinunter auf ihre präzise passende, blaue Freizeithose, und ich vermutete, daß da mehr dahintersteckte, irgendein samstagmorgendlicher Streit, und er schien eben zu der Entscheidung zu gelangen, daß es eher seine Schuld war als ihre, oder völlig, falls er wußte, was gut für ihn war.
»Wir haben’s eigentlich nicht so mit der Religion, darum geht’s«, sagte er noch einmal.
»Wir haben alle unsere Arbeit zu leisten«, sagte sie, und der anschließende Seufzer verstärkte ihr Näseln noch. »Ob Ladenbesitzer oder Piloten.«
Eine lange Pause entstand, in der sie in ihrer Handtasche nach dem Geld suchte und ich ein paar Konserven und einen Laib Brot auswählte. Er stellte sich hinter mich und sortierte ein wenig Kleingeld auf seiner Handfläche. Plötzlich wirkten die beiden vereint. Ich war zu einem schmierigen oder neugierigen Fremden geworden.
Und so verbrabbelte ich mich mal wieder. »Immer locker mit Schub und Steuerknüppel ... steil hoch und dann im Sturzflug nach unten, ein Looping ... Erst locker über die Baumspitzen trudeln, dann durch die Wolken himmelwärts, bis der Kontakt mit der Luftüberwachung abbricht und der Sprit zur Neige geht ...«
Als alle meine Anzeigen völlig auf Null standen, rettete er mich, indem er seiner Frau das Kleingeld gab. Mir fiel dabei auf, daß ihre Fingernägel zum Lippenstift passten.
»Netter Kerl, das muß ich zugeben«, sagte er.
»Komm, Jerry«, sagte sie. »Die Kinder ...«
»Ach, wie geht’s den Kindern denn?« fragte ich interessiert
und trat einen Schritt zur Seite, um sie vorbeizulassen. »Ganz entzückende ...«
»Sie müssen uns mal besuchen kommen«, sagte er.
Wieder rümpfte sie die Nase. »Bringen Sie den Vikar zum Tee mit. Sagen Sie ihm, wir sind Atheisten oder Buddhisten oder sonstwas.« Sie redete, als könnte sie weder ihn noch mich ausstehen.
»Also dann tschüs, Mr. Ripple«, sagte er. »Wir müssen uns beeilen. Sie wissen ja, wie das ist. Die Kleinen.«
»Allah sei mit Ihnen«, rief ich, als sie durch die Tür traten.
Sie drehte sich um und starrte mich an, als hätte sie etwas sehr Unangenehmes an mir bemerkt, könnte aber noch nicht genau sagen, was es ist. Ich gab der Ladenbesitzerin mein Geld. Meine Hand zitterte. Ich wußte nicht, ob ich rot oder blaß geworden war oder beides.
»Geht es Ihnen auch wirklich gut, mein Lieber?« fragte sie.
»Bestens«, erwiderte ich.
»Ich würde sagen, Sie haben sich da ein bißchen hinreißen lasen«,
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