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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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Hand zu geben, aber er drückte mich wieder auf die Bank und schüttelte den Kopf.
    »In einer Kirche sagt man nicht Lebewohl. Wir müssen werden wie kleine Kinder, das ist das Geheimnis. Gott ist Liebe. Wir müssen versuchen, ganz zum Anfang zurückzukehren.«
    Ich dachte, er sagte nur seine Floskeln auf. Erfüllte eben seine Pflicht. Ich schaute ihn frömmlerisch an, was ihm nicht paßte.
    »Und, keine Abschiedsbotschaft?«
    »Seien Sie nur Sie selber, und immer die Ohren steifhalten, solche Sachen. Wer war es gleich wieder, der das geschrieben hat, einer der großen Römer: Sprich die Wahrheit, aber mit einem Lachen. Ich meine, wie könnten wir sie sonst ertragen?«
    Er gab mir einen letzten Klaps auf die Schulter und war dann schon halb den Mittelgang hinunter, als er sich umdrehte und, als wollte er ein Echo erzeugen, zu laut sagte: »Oder sind der ganze Humor und das Haha und der Spott nur Werkzeuge des Teufels, um uns vergessen zu lassen, was für einen abscheulichen Sauhaufen er aus Gottes Welt gemacht hat? Das ist doch ein Gedanke, nicht?«
     
    Kurz darauf war ich allein in der Kirche. Der Vogel flatterte noch ein paarmal unter der Decke umher, im schwächer werdenden Licht nicht mehr als ein Schattenspiel. Ungefähr zehn Sekunden lang zwitscherte er und verstummte dann. Das Liederbuch lag noch immer aufgeschlagen in meinem Schoß, und ich blätterte darin. All diese hehren, andachtsvollen Zeilen. Auf das hintere Vorsatzblatt hatte jemand diese Comic-Figur gezeichnet, die mit kahlem Schädel mit einem einzelnen Haar obendrauf und mit Kreuzen als Augen über eine Mauer lugt. »Wat, keene Wunder?« stand darunter. Es überraschte mich, daß niemand die Seite herausgerissen
hatte. War vielleicht noch zu neu. Irgendein gelangweilter Schuljunge, den man während der Ferien zum Kirchenbesuch gezwungen hatte. Die Tür fiel mit einem lauten Knall ins Schloß. Und die Kirche war völlig leer. Wie lang ich dort auch blieb, die Geister wollten nicht flüstern. Das Kruzifix am Altar tauchte in den Schatten, und alles, was ich glauben konnte, war, daß die Geschichte hier geendet hatte, ein beherzter Griff nach etwas Größerem und Besserem, der aber grausam ins Leere gegangen war: ein historischer Augenblick, oder nicht einmal das, und alles andere ein vertrauensseliger Hunger der Vorstellung. Ich wünschte mir, der Vikar und ich hätten gerade eben nicht so geredet, sondern hätten irgendwie die Gemeinschaft der Toten heraufbeschwören können, es wehte einfach soviel unausgesprochenes Leid durch die kalte Luft. Beim Hinausgehen schaute ich noch ein letztes Mal zu dem verlöschenden, blauen Schein im Buntglas hoch, dann zu dem abgenutzten Taufstein mit seiner unleserlichen Inschrift, und im Vorraum ging mein Blick schließlich zu der Anschlagtafel mit ihren zusätzlichen Stecknadeln und dem ausgebleichten Spendenaufruf für hungernde Kinder in Afrika. Und ich dachte mir, ich würde nie wieder hierherkommen und auch keine andere Kirche mehr betreten. Zu viel anzustreben, zu weit zu gehen, zu viele Stimmen, die unerfüllten Sehnsüchte der Toten.
    Auch auf dem Friedhof hielt ich mich nicht lange auf, denn ich fröstelte und dachte: »Hier hole ich mir den Tod.« Kurz sah es so aus, als würde in der Entfernung bereits Schnee fallen, aber es war nur das letzte Sonnenlicht, das auf die in einem Windstoß schwankenden Bäume fiel. Ein Gewitter braute sich zusammen, und der Himmel gegenüber dem Sonnenuntergang war pechschwarz. Ein Blitz flackerte über den Horizont, und ich dachte, wenn man die Umgehungsstraße wirklich baute, dann würde es die ganze Nacht lang und für alle Zeiten am Horizont flackern.
    Auf dem Nachhauseweg im heftiger werdenden Wind, der sich eben zu seiner typischen Suffolk-Stärke aufbaute, drehte ich mich noch einmal zur Kirche um, deren Silhouette vor den ersterbenden Farben des Sonnenuntergangs jetzt nur noch wie ein riesiger Steinhaufen wirkte. Durch die untersten Wolkenbänke stoßend,
stand die verrostete Wetterfahne völlig still im Wind. Ein letzter Vogel zwitscherte. Und so wandte ich meine Gedanken anderen Dingen zu: Wo würde ich wohnen, bis ich ein neues Zuhause gefunden hatte, wo würde ich unterdessen meine weltlichen Güter unterbringen, wie viele davon würde ich verkaufen oder zurücklassen, wie lange würde das Geld reichen, was damit zu tun hatte, wie lange meine Lebensspanne noch reichte? Und dann ließ ich auch das hinter mir und überlegte mir, was ich mir zum Abendessen machen

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