Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
nirgendwo zu sehen, deshalb rief ich von der Wohnungstür aus: »Auf Wiedersehen«, und erst auf halber Höhe der Treppe drehte ich mich noch einmal um und sah, daß sie mir vom Fenster aus nachschaute. Ihr Mund war offen und die Hand erhoben, als würde sie mir etwas zurufen. In diesem Augenblick wirkte sie klein und verschwommen und weit weg, wie die Leute in den Büchern, die ihr Mann mir gezeigt hatte, erschöpft von der Verzweiflung und den Schrecken des Verlassenseins.
Auf dem Weg zum Waschsalon stellte ich mir vor, wie sie in ihrem fröhlichen, kleinen Zimmer saß und ihre Tapisserie zur Hand nahm und weiter an ihrem Adler stickte und dabei auf die Rückkehr der jungen Leute wartete und derjenigen aus ihrem Umkreis, die kommen würden, um sie zu trösten und ihr Leben in die Hand zu nehmen. Sie wollte nicht von Fremden belästigt werden. Die jungen Leute würden ihr Gesellschaft leisten. Sie würde darüber hinwegkommen. Das war der Lauf der Dinge. Aber als ich die Tür zum Waschsalon öffnete und die klamme Luft aus Seifenbläschen und schaler Kleidung einatmete, wußte ich, daß nichts davon stimmte und daß sie mir einen stummen Hilfeschrei entgegengesandt hatte, ohne zu bemerken, daß ich sie dabei beobachtete.
Während ich durch den Waschsalon zum Büro ging, schauten die Leute mich an, als wäre es meine Schuld, daß sie hier sitzen und dem Karussell ihrer Wäsche zusehen mußten, daß ihr Privatleben derart öffentlich gemacht wurde. Ich habe in einem Waschsalon noch nie Leute lächeln oder sich anschauen oder miteinander reden sehen. Wie im Wartezimmer eines Arztes, wo sich jeder nur den Kopf darüber zerbricht, was er zu hören bekommen wird, und an das Schlimmste lieber gar nicht denkt. »Nachmittag allerseits«, sagte ich fröhlich und: »Wunderschöner Tag.« Natürlich keine Antwort. Und es war natürlich auch kein wunderschöner Tag, jedenfalls nicht das Wetter, das weder so noch so war. Und es war der Tag, an dem die Bodenoffensive beginnen sollte. Die Schlagzeile der Zeitschrift auf dem Boden verkündete: »HIGH NOON!« Ach, was für eine phantastische Zeit die Medien doch hatten.
Der Besitzer war im Büro zusammen mit einem Mann, den ich noch nie gesehen hatte. Sie hörten auf zu reden, begrüßten mich aber nicht, als ich die Bücher herausholte und anfing zu arbeiten. Ich spürte, daß sie mich hinter meinem Rücken anstarrten, und sagte fröhlich: »Ein guter Monat. Schauen Sie sich das an. Der beste seit Oktober.«
Der Besitzer kam zu mir und schaute mir über die Schulter. »Die Kinder mögen den Schnee sehr gern, so werden mehr Kleider schmutzig. Aber die Leute essen nicht so oft im Restaurant, sie bleiben lieber zu Hause und schauen fern.«
»Ja, da haben Sie ein Problem. Wenn Sie nicht aufpassen, werden Sie anfangen müssen, die Bücher zu waschen.«
Das war ein Witz, den er einmal mir gegenüber gemacht hatte, und der lud zur Wiederholung ein. Aber nicht an diesem Tag. Seit Wochen mieden wir penibel jedes Thema außer dem rein Geschäftlichen. Ich dachte daran, wieviel er noch der Bank schuldete und wie groß seine Familie war und dann auch an den Hohn, den seine Kinder jetzt wahrscheinlich in der Schule über sich ergehen lassen mußten. Ich wußte nicht, was er dachte, aber als ich über die Schulter schaute, sah ich, daß der andere Mann mich finster anschaute. Die Zahlen vor mir waren das einzige, was wir
gemeinsam hatten, das und die Wiederholung von ein paar schwachen Witzen aus glücklicheren Zeiten. Vielleicht wünschte er sich jetzt, er hätte gelacht.
»Mehr schlechtes Wetter, in dem man mehr Kleidung tragen muß, mehr Matsch und Dreck, mehr Geld«, sagte er. »Es ist ein schmutziges Geschäft, dieser Waschsalon. Ich hoffe, Sie helfen mir beim Saubermachen, Mr. Ripple.« Er legte mir die Hand auf die Schulter, und ich meinte, von dem Mann hinter ihm ein verächtliches Schnauben zu hören.
Ich lachte zu laut. »Die Kleider der Leute sind alle ein bißchen anders«, sagte ich. »Aber ich bin sicher, Sie schaffen es, ihre Differenzen auszubügeln.« Ich hatte mir das zurechtgelegt, und ich glaube, es hätte ihm auch gefallen, aber der Mann hinter ihm sagte scharf: »Es ist jetzt nicht die Zeit für Witze und Blödeleien.«
Er nahm die Hand von meiner Schulter und überließ mich meiner Arbeit. Eines Tages würden wir diese Art von Geplänkel vielleicht wieder genießen können, aber nicht demnächst, wohl für eine lange Zeit nicht.
Beim Essen an diesem Abend
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