Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Vielleicht sorgen sie das nächste Mal sogar dafür, daß nicht mehr ganz soviel Ignoranz dabei ist. Auch die Presse tut mir leid. Man konnte deutlich sehen, was für eine befriedigende Zeit das für sie war. Sie haben alle ihre Siegesparade wirklich verdient.
Ich schreibe das alles einige Zeit danach. Am Tag nach dem Abendessen bei Jane und Adrian bekam ich eine Bronchitis, aus der sich eine Lungenentzündung und dann ein persönlicher Feldzug gegen das Rauchen entwickelten. (Der erste Stumpen nach dem Waffenstillstand, den ich im Augenblick rauche, schmeckt mir eigentlich nicht gut genug.) Das war keine Zeit fürs Schreiben, eigentlich für überhaupt nichts, was man als Denken bezeichnen könnte. Anscheinend gibt es im Leben eines jeden Menschen Zeiten, da
man einfach gedankenlos dahinstapft, da man eher durch den als für den Augenblick lebt, wenn man das überhaupt Leben nennen kann, auch wenn ein gewisser Frieden darin liegt, wenn man in mein Alter kommt und das Leben zunehmend etwas ist, was man früher einmal getan hat oder von dem man damals dachte, man würde es tun, oder was man getan hätte, wenn man es geschafft hätte, darüber nachzudenken. Ich machte mir über andere noch weniger Gedanken als normalerweise, aber eine Krankheit ist eben so, bei den ganzen Beschwerden und der Erschöpfung und den düsteren Vorahnungen, die sie mit sich bringt. Eigentlich sollte so etwas den Horizont erweitern, aber so war es nicht, nicht in meinem Fall. Die Krankheit hat mich nicht geadelt. Ich hatte auch nie erwartet, in die Ehrenlegion des Lebens aufgenommen zu werden. Jetzt muß ich versuchen weiterzuschreiben. Es hilft mir, wenn ich mir selber einrede, daß ich überhaupt irgendwelche Gedanken oder Ideen habe (auch wenn das vielleicht ein bißchen übertrieben ist). Oder, was das angeht, ein Leben, falls das ein Gefühl der Kontinuität bedeutet. Ansonsten gäbe es ja nur den Augenblick: Empfindungen, Erinnerungen, Gefühle, die Aufgabe, die im Augenblick zu bewältigen ist, und natürlich die Sehnsüchte. Kurz auflodernd und schon wieder erloschen. Mehr Triebe als Liebe (ob ich das drinlasse, entscheide ich beim zweiten Durchlesen. Eigentlich gehört es an eine ganz andere Stelle, wo ich mich mit grundlegenderen Dingen beschäftige). Also schwadroniere ich weiter, weil es den ganzen Wirrwarr zusammenzuhalten scheint, oder zumindest den kleinen Teil, der gegenwärtig zusammengehalten werden kann, und weil es so zum einzigen Beweis wird, den es gibt. Beweis für was, höre ich Sie fragen. »Lecken Sie mich doch«, ist die angemessene Antwort darauf.
Aber meine Krankheit hatte auch einen erfreulichen Aspekt. Die Ballerinen sind seitdem sehr leise, weil sie wissen, daß ich krank war. Ich hatte Annelise gebeten, mir aus der Apotheke ein paar Pillen zu holen. Sie war sehr freundlich und kam danach jeden Tag hoch, um sich zu erkundigen, ob ich irgend etwas brauchte. Ich dachte mir, was für eine gute Krankenschwester sie doch abgeben
würde, falls sie irgendwann einmal einen Patzer zuviel machen sollte und aus dem Garten vertrieben würde, wie sie Covent Garden einfach nennt. Ich hatte mir ein Video mit Rudolf Nurejew und Margot Fonteyn ausgeliehen, Ausschnitte von Veranstaltungen mit dem Royal Ballet, und ich sah deutlich, wie noch der kleinste Patzer im Chor die ganze Show verderben konnte, was vielleicht den Ausdruck vorsichtiger Verzückung erklären könnte, den sie alle im Gesicht hatten. Ich dachte mir auch, daß irgendeine andere Beschäftigung ihr vielleicht ein bißchen Farbe und Fleisch zurückgeben könnte (um es mal geradeheraus zu sagen). Ich hatte Fieber zu der Zeit, müssen Sie bedenken, und sie war es, die mir Gesellschaft leistete, sowohl physisch wie moralisch.
Sie kam immer für ein paar Augenblicke herein und schaute sich das Bild der Verwüstung an, das meine Wohnung darstellte. Vielleicht fühlte sie sich besser, wenn sie mich sah, keuchend und schwabbelig und ungekämmt in meinem gelben Frotteebademantel, den ich Maureen zuliebe gekauft hatte, jetzt fleckig und faltig und schäbig — kurz gesagt, eine durchaus angemessene Erweiterung meiner selbst, da ich zu der Zeit ebenfalls an einem schlimmen Fall der Adjektive litt, die immer in Dreiergruppen zu kommen scheinen. Einmal schickte sie mich ins Bett und brachte mir etwas Heißes zu trinken. Da zeigte ich ihr das Video. Margot Fonteyn war kurz zuvor gestorben. Ich wollte sagen, wie absolut bezaubernd sie sei, doch das löste nur einen
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