Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
Vom Netzwerk:
wirkte ihre gutgekleidete, grau-weiße Eleganz wie eine Tarnung dessen, was ich in ihr vermuten und für unzulänglich befinden könnte. Auf dem Rückweg zum Taxi fragte sie mich, ob ich schon einmal in Polen gewesen sei und wie es Mrs. Thatcher gehe. Sie erzählte mir, ihre Tochter sei jetzt in Deutschland, und dankte mir, daß ich so freundlich zu ihr gewesen sei. Sie fragte, ob ich ein Geschäftsmann und nach Polen gekommen sei, um hier zu investieren, oder ob ich mich für ein Joint-venture interessiere. Es wäre mir lieber gewesen, meine Antworten wären nicht so knapp und unverbindlich gewesen, da sie sich so sehr bemühte, immer die richtigen Dinge zu sagen. Im Auto gingen die Fragen weiter, als hätte sie Mrs. Bradecki völlig vergessen. Aber ich hatte nichts zu sagen. Es gab einfach zu viele neue Eindrücke, und ich konnte nur an meine Mutter denken und wie es wohl gewesen wäre, wenn ich sie anstelle von Mrs. Bradecki hierhergebracht hätte. Sie wäre wohl vor
allem entsetzt gewesen über die vielen Autos, die hier auf den Bürgersteigen parkten. Sie war gegen Autos, und wir hatten auch nie eins. »Dein Vater hat schon genug Probleme, ohne daß er sich den Kopf über Motoren zerbrechen muß«, sagte sie einmal und bei einer anderen Gelegenheit: »Wenn es weniger Autos gäbe, dann wäre mehr Platz für Busse.« Obwohl sie nie darüber redete, bin ich mir sicher, daß sie Labour wählte, falls sie überhaupt wählte. Mein Vater ließ sich nie auf politische Diskussionen ein. Ich vermute, er tendierte eher zu den Konservativen, weil sie irgendwie sicherer wirkten. Es hätte bestimmt beide geärgert, daß hier die Bürgersteige, die eigentlich für gewöhnliche Leute gedacht waren, von Autofahrern übernommen wurden. Mein Vater hätte gedacht, daß das zu erwarten war, hätte aber nichts dergleichen gesagt. Die Hauptsorge meiner Mutter wäre wohl gewesen, was um alles in der Welt ich mir dabei gedacht hatte, in meinem Alter nach Polen zu reisen, wo es doch zu Hause mehr als genug gab, worum man sich kümmern mußte.
     
    Schließlich kamen wir in unserem Hotel an. Marias Mutter half uns bei der Anmeldung und sagte, sie würde uns am nächsten Morgen abholen. Mrs. Bradecki war unübersehbar erschöpft und fing jetzt an, unentwegt »Vielen Dank« zu sagen, als wollte sie unbedingt allein gelassen werden. Sie schien sich kaum bewußt zu sein, wo sie eigentlich war. An der Rezeption streckte sie die Hand aus, weil sie die Rückgabe ihres Passes erwartete, und als die Empfangsdame mit knappen Worten etwas zu ihr sagte, machte sie den Arm noch länger, öffnete die Hand und krümmte sie dann zu einer Kralle wie eine Bettlerin. Marias Mutter faßte sie sanft am Ellbogen und führte sie zum Lift. Ich folgte mit ihrem Koffer, den sie mir aus der Hand riß, als die Lifttür aufging. Als beide im Lift standen, lächelte Marias Mutter mich an und schüttelte den Kopf, als hätte ich Mrs. Bradecki in ihre Obhut in einer Anstalt für Geisteskranke übergeben, und ich würde sie nie wiedersehen. Kurz bevor die Tür zuknallte, erhaschte ich noch einen kurzen Blick auf sie, wie sie leicht gebeugt in einer Ecke des Lifts stand, und ich fragte mich, ob sie nicht tatsächlich verrückt war. Sie hatte Haß in
ihren Augen, als hätte ich sie gegen ihren Willen dazu gebracht hierherzukommen und würde sie jetzt im Stich lassen.
    Später an diesem Abend rief ich in ihrem Zimmer an, um sie zu fragen, ob sie zu Abend essen wolle, aber es meldete sich niemand. Ich hatte einen Drink in der Bar, die so war wie alle anderen Hotelbars – zu viele Männer, die herumlungerten und darauf warteten, daß etwas passierte, und Elton John oder einer seines Schlags säuselte, um die Leere zwischen Wollen und Denken zu füllen. Nach einer Mahlzeit aus Pilzen, Wildschwein und zu viel bulgarischem Wein schlenderte ich eine Weile durch die Straßen, wo ein paar Neonschilder versuchten, ein wenig kapitalistische Fröhlichkeit zu verströmen, damit in der langen Nacht, die noch bevorstand, keine Trübsal aufkam; das Ganze wie lustige Botschaften auf einem Friedhof. Bei der Rückkehr streckte ich kurz den Kopf ins Casino. Die Lobby war voller Männer, die herumlungerten, als würden sie auf ein Vorsprechen für eine Gaunerrolle warten. Es gab auch ein paar Frauen, die gut ins Szenario paßten, aber allem Anschein nach deutlich zielstrebiger vorgingen. Eine von ihnen schob sich an mir vorbei und sagte: »Hundert Dollar, schöne Zeit.« Ein Mann hinter ihr

Weitere Kostenlose Bücher