Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
sie zu übersetzen. Sie versprach, mir die Geschichte zu zeigen. Die Kinder wurden getrennt, und erst sehr viel später fand Mrs. Konopka heraus, daß ihre Freundin noch lebte. Doch zu der Zeit war sie schon mit einem Mann verheiratet, der ein prominentes Parteimitglied
war, und deshalb konnte mit der polnischen Gemeinde in Großbritannien kein Kontakt aufgenommen werden. Ich fragte sie, ob sie beide Jüdinnen seien.
»Sie waren Freundinnen«, erzählte sie mir, »weil ihre Väter Juden waren und ihre Mütter nicht, aber bei ihren Gatten bleiben wollten. Nur durch Zufall erfuhr sie, daß Maria bei den Bradeckis wohnen würde, und deshalb bat sie mich zu schreiben. Wissen Sie, ihr Mann ist tot, und jetzt ist alles anders. Sie war ihm all die Jahre treu, und jetzt wird sie alt und kann Erinnerungen wieder zulassen. Ich wurde erst am Ende des Krieges geboren, aber ich will nicht daran erinnert werden. Jetzt gibt es keine Juden mehr.«
Ich fragte sie, ob sie Mrs. Konopka gut kenne. Zuerst antwortete sie nicht darauf, sondern fing an, von ihrer Arbeit als Englischlehrerin zu erzählen. Doch plötzlich sagte sie: »Sie war eine Nomenklatura-Frau und hatte ein gutes Leben. Solche Leute haben wir manchmal gehaßt.«
»Nur manchmal?« fragte ich, weil ich nicht so recht verstand, was sie meinte.
»Weil wir sogar in der Schule auf der richtigen Seite stehen mußten. Auch mein Mann war ein gutes Parteimitglied. Also haßten wir sie noch mehr, und wir dachten, es würde immer so weitergehen, bis Mr. Walesa kam und der Papst, und dann hatten wir Hoffnung, aber auch Angst. Jetzt verdiene ich mein Geld als Englischlehrerin, und meine Tochter wird einen intelligenten Mann heiraten, der ein neuer Geschäftsmann und Berater ist. Ich bin keine so gute Frau, Mr. Ripple.«
»Was ist denn schon Gutsein? Für uns ist das einfach. Wir müssen nicht viel tun oder weit gehen. Aber für Sie ...«
»Einmal hat ihr Mann uns geholfen. Vor langer Zeit. Er vermittelte meinem Mann eine gute Arbeit und beschaffte uns ein Auto. Er war kein schlechter Mann, ihr Gatte. Er glaubte an die Sache. Mein Mann glaubte nicht. Er war unterwürfig und verängstigt. Sie hat mich nicht gebeten zu schreiben, weil sie wußte, daß Mr. Bradecki sie haßte.«
»Warum haben Sie es dann getan?«
»Ich glaube, wegen meiner Tochter. Damit sie besser über mich
und ihren Vater denkt. Sie schämt sich, daß er in der Partei war, und jetzt hat er Angst, daß man ihn von seinem Posten in der Regierung verjagt. Auch er ist kein schlechter Mensch. Er ist mein Ehemann. Er liebt seine Familie. Jetzt wollen wir nur glücklich sein und wünschen uns, daß auch meine Tochter glücklich ist. Ich habe geschrieben, weil meine Tochter mich darum gebeten hat, als sie mir vom Tod von Mr. Bradecki erzählte. Ich glaube nicht, daß ich jetzt so glücklich sein kann. Früher haben wir uns sicher gefühlt. Wir waren nicht für uns selbst verantwortlich. Die beiden zusammen zu sehen macht mich nicht so glücklich. Wir wollen nur sehr weit in der Geschichte zurückgehen und uns nicht an Dinge erinnern, die dazwischen schrecklich waren. Wir wollten unsere wahre Geschichte, keine Lügen, und jetzt, da wir unsere wahre Geschichte haben, auf die wir so gewartet haben, wollen wir sie nicht. Ich will, daß meine Tochter mich für eine gute Frau hält ...«
Ich hielt das alles in meinem Notizbuch fest, und zwar so, wie sie es mir erzählte, in Bruchstücken, denn sie machte lange Pausen dazwischen, als müsse sie sich genau überlegen, was sie als nächstes sagte, als müsse sie sich erst versichern, daß ihr Englisch korrekt war, oder als überlege sie sich, ob sie mir trauen könne oder ob sie, indem sie sagte, was sie dachte, sich in Gefahr brachte oder die Unwahrheit sagte. Das alles überstieg mein Begriffsvermögen, und ich dachte an all die Entscheidungen, die ich nie hatte treffen müssen. Und es machte mich traurig, daß diese aufrichtige, selbstbeherrschte Frau mit ihrem steifen, korrekten Englisch, die kein Unrecht getan hatte, solche Selbstzweifel hatte und nur daran denken konnte, daß ihr Mann vermutlich seine Arbeit verlieren würde und ihre Tochter sich ihrer Eltern schämte.
Wir kehrten zum See zurück, wo Schaulustige sich um einen Pfau drängten, der mit aufgestelltem, zitterndem Federkranz um eine Pfauenhenne balzte. Es waren auch noch zwei andere Pfauen und eine weitere Pfauenhenne in der Nähe, die aber keine Notiz davon nahmen, und schließlich war der erste Pfau
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