Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
wir aufbrechen, und ich ging um acht nach unten, um nachzusehen, ob sie soweit war. Die Tür war offen, und sie saß im vorderen Zimmer, bereits in ihrem dunkelbraunen Mantel, den Koffer neben sich auf dem Boden. Sie schaute mich an, als wäre ich noch immer ein Fremder. Ihre Augen waren wund vor Müdigkeit, und ich erschrak regelrecht über ihr Gesicht, das im Dämmerlicht weiß wirkte wie das eines Clowns.
»Alles in Ordnung?« fragte ich und rieb mir die Hände.
Sie nickte, und ich glaube, sie versuchte zu lächeln wie ein Kind, das ich nicht hatte aufheitern können.
»Bis in einer Stunde dann«, sagte ich, deutete auf meine Uhr und streckte den Zeigefinger in die Höhe. Sie wandte sich von mir ab, legte die Hand auf den Koffer und umklammerte dann den Griff, als wäre ich gekommen, um ihn ihr wegzunehmen. Der Koffer wurde von einem Riemen zusammengehalten, und der Griff war mit einer Schnur umwickelt, die schwarz war vor Alter. Vermutlich hatte sie nicht mehr geschlafen als ich. Wir beide waren wie Patienten im Wartezimmer eines schäbigen Krankenhauses, zufällig zusammengeworfen, zu früh entlassen. Die Welt war noch nicht bereit für uns.
Ich weiß nicht mehr, ob sie im Taxi und am Flughafen, bis wir in der Abflughalle waren, überhaupt ein Wort gesprochen hat. Ich war energisch und effektiv, legte unsere Tickets und Pässe vor, holte ihr Kaffee, zeigte ihr unseren Flug auf der Abflugtafel. Sie kam mir vor, als wäre sie geschrumpft, sie unterwarf sich mir völlig, wartete darauf, daß ich ihr sagte, wohin sie gehen sollte, und blieb immer ein paar Schritte hinter mir, als wollte ich nicht mit ihr gesehen werden. Die Offiziellen waren alle sehr freundlich, aber sie schienen ihr angst zu machen, so als dachte sie, sie wollten sie bei einem Fehler ertappen. Sie schaute genau zu, als man mir mit dem Metalldetektor am Körper auf und ab fuhr, und ich sah sie zusammenzucken, als das Ding meinen Schlüsselbund erreichte und plötzlich piepste. Sie hatte versucht, sich große Mühe mit ihrem Erscheinungsbild zu geben. Eine Wange zeigte zuviel Rouge, die Oberlippe war verschmiert, und auf der Stirn hatte sie einen Puderstreifen. Eine Augenbraue war dunkler als die andere. Es sah aus, als hätte sie sich ohne Spiegel geschminkt oder mittendrin einfach aufgegeben. In der Abflughalle versuchte ich, sie aufzuheitern, indem ich mit übertriebenem englischem Akzent aus einem Polnisch-Lehrbuch vorlas, aber sie plapperte die Sätze nur nach, als wollte sie sie auswendig lernen. Vielleicht glaubte sie, ich wolle mich über ihre Sprache lustig machen, deshalb ließ ich es bald wieder sein, kaufte mir eine Times und vertiefte mich in das Kreuzworträtsel. Sie saß bewegungslos da, die Augen geschlossen, die Hände im Schoß gefaltet, die Knöchel so scharf, als würden die Knochen gleich die Haut durchstoßen.
Sobald wir im Flugzeug saßen und ich ihr gezeigt hatte, wie man sich anschnallte, schloß sie die Augen. Als wir starteten, drehte sie das Gesicht zum Fenster, und ich konnte dort die Reflexion ihrer Augen sehen, die hinunterstarrten auf die immer kleiner werdende Erde und die vorbeiziehenden Wolken, und dann, als wir durch sie hindurch waren, in den tiefblauen Himmel, als hätte sie das alles schon tausendmal gesehen oder würde es überhaupt nicht sehen. Sie lehnte alle Erfrischungen ab, und als ich, mit meinem ersten Whisky in der Hand, sie fragte, ob sie schon einmal geflogen sei, murmelte sie: »Erstes Mal. Sie schon viele Male?«
»O ja. Die Freiheit über den Wolken ist grenzenlos.« Warum nur klang in ihrer Gesellschaft alles, was ich sagte, besonders lächerlich?
»Bitte?« sagte sie.
In diesem Augenblick kam eine Stewardeß zu uns, lächelte uns routiniert an und reichte uns Tabletts mit Essen. Ich nahm meins, aber Mrs. Bradecki drehte sich wieder zum Fenster,
»Sind Sie sicher, daß Sie nichts zu trinken oder sonstwas wollen?« fragte ich. Sie schüttelte den Kopf, als wäre sie verärgert. »Wenn ich Sie Dorota nennen darf, können Sie mich Tom nennen.«
»Bitte?« sagte sie noch einmal.
Und das war’s dann zu diesem Thema. Gegen Ende des Flugs legte ich kurz meine Hand auf die ihre und sagte: »Bitte machen Sie sich keine Sorgen. Es wird schon alles gut werden.«
Einen Augenblick lang entspannten sich ihre Hände, und sie schaute auf meine hinunter. Dann drehte sie sich wieder dem Fenster zu, und als ich die Reflexion ihres Gesichts im Fenster sah, dachte ich kurz, sie hätte angefangen zu
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