Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
nicht mehr peinlich zu sein, als wären bei den Verrichtungen des Tischabräumens und Kaffeeservierens diese Dinge belanglos im Vergleich zu den täglichen Pflichten des Lebens. Manchmal nickte sie, wenn er etwas sagte, wie um ihm ihre Liebe zu beweisen oder mir zu zeigen, daß sie früher einmal stolz auf ihn gewesen war und ich ihn nicht als lächerlich oder verachtenswert betrachten dürfe. Er trank nun immer mehr, einen Wodka nach dem anderen, der Oberkörper sank ihm über die Tischplatte, und irgendwann starrte er nur noch vor sich hin. Da ihm offensichtlich der Faden gerissen war, fragte ich, um das Thema zu wechseln, nach Maria.
Sie holten nun Alben mit Fotos von ihr in verschiedenen Altersstufen hervor, und allmählich wurden sie wieder zu einem harmonischen Paar. Sie wirkten sehr glücklich, lachten und deuteten und erzählten mir, sie sei so gescheit und vital, daß sie einfach eine erfolgreiche Geschäftsfrau werden müsse, was mir ein bißchen wie Verschwendung vorkam, aber das ist eben etwas, was Leute wie ich denken. Ich dachte daran, wie sie in einer Londoner Straße neugierig zu mir hochschaute und dann, Hand in Hand mit einem abscheulichen Wüstling, um eine Ecke verschwand. Während Seite um Seite umgeblättert wurde, schien das Lächeln des Kindes immer koketter und berechnender zu werden, und meine Gedanken wandten sich Annelise zu, ihrem Humpeln, ihrem entschuldigenden Aufkreischen, als ich mir die heiße Zitrone auf meinen Morgenmantel kippte, ihrem Kummer und ihrer Versagensangst, ihrem liebevollen Vater.
Sie fragten mich nun nach meiner Familie, und beim Antworten dachte ich mir, wie selbstgefällig ich doch klingen mußte, wie einfach und problemlos Erfüllung erreicht worden war, oder Befriedigung, wie behaglich das alles war. Es war eine Zukunft, die sie für ihre Tochter wollten, die Vergangenheit ruhte bereits zwischen den Deckeln eines Fotoalbums. Und plötzlich wurde der Abend still. Mrs. Wysinski stand hinter ihrem Mann, der, über das Fotoalbum gebeugt, in einem billigen, dünn gepolsterten, braunen
Sessel saß und sich an ihm festklammerte, als wäre er sein letzter weltlicher Besitz. Er griff nach ihrer Hand, die auf seiner Schulter lag. Ich hatte bis dahin keine Fragen gestellt, aber diese Geste schien es mir nun plötzlich zu erlauben.
»Diese Jahre«, sagte ich. »Sie müssen schwer gewesen sein. Für alle.«
Es folgte eine lange Pause, in der sie beide ins Album starrten. Es war bei einem Foto aufgeschlagen, das Mrs. Wysinski nun herausnahm und mir gab. Es zeigte Maria allein vor einer großen Kirche, den Kopf leicht zur Seite geneigt und diesmal ohne Lächeln. Es war ein windiger Sommertag, und sie trug ein an der Taille gerafftes Kleid in Herbstfarben, das ihre Figur betonte. Eine Hand hielt sie an den Kopf, damit der Wind ihr nicht die Haare vors Gesicht wehte, und sie hatte die Augen gegen die Sonne zusammengekniffen. Am Rand ihres Schattens waren Tauben zu sehen.
»An diesem Tag«, sagte sie, »war Maria sehr wütend auf uns. Weil sie wußte, daß wir gegen Solidarnosc waren und das Kriegsrecht wollten.«
»Dumm«, sagte Mr. Wysinski noch einmal, doch diesmal war es kaum mehr als ein Flüstern. Er schaute mich an, und der Schweiß trocknete auf seinen Wangen wie Tränen. Seine Augen waren groß und feucht, und in diesem Augenblick erinnerte er mich an Foster, beide hatten sie diese in früheren Zeiten verbrauchte Verachtung, doch dann lachte er und hob kapitulierend die Hände.
»Aber jetzt, jetzt ist sie nicht wütend.« Er griff noch einmal nach hinten und tätschelte seiner Frau die Hand. »War auch nicht meine Frau, auf die sie damals wütend war. Nur auf mich.« Dann sagte er laut »Wodka« und deutete auf mein leeres Glas.
Mrs. Wysinski klopfte ihm auf die Schulter. »Mr. Ripple ist kein polnischer Säufer wie du. Er hat kein Parteibuch, das er zerreißen muß.«
Ich hielt ihm mein Glas hin, und Mrs. Wysinski holte die Flasche und gab sie ihrem Mann. »Maria«, sagte sie und zögerte dann kurz. »Maria wird Managerin im Gartenbaugewerbe. Mein Mann hat einen Freund. Er hat noch immer viele Freunde. Sie war so wütend an diesem Tag, weil einige ihrer Freunde Eltern
hatten, die Solidarnosc waren. Und das ist natürlich nicht so gut für sie.«
Mr. Wysinski lächelte stolz. »Meine Tochter nicht so dumm, Mr. Ripple.«
Und so kam der Abend zum Ende. Ich hatte über Mrs. Bradecki reden wollen, und während wir jetzt auf das Taxi warteten, sagte ich, ich hoffe,
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