Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
dann habe ich keine Ahnung, was die anderen Elemente sein könnten. Vielleicht kennt meine Frau ein Buch, das den Inzest als bekömmlich beschreibt, mit den Ägyptern als Beispiel; und gab es denn nicht auch einen Papst, der seine Schwester gevögelt hat? Aber sogar meine Frau würde irgendwo eine Grenze ziehen, wie auch ich es tue, indem ich nicht auch nur in die Nähe des Bads gehe, wenn meine Tochter in der Wanne liegt, nur für den Fall, daß sie die Tür offengelassen hat und ich herausplatze mit: »Ach, laß mich noch einmal dein warmes und schlagendes Herz spüren!«
Das sie uns jetzt zeigte, indem sie fragte: »Gibt es denn gar nichts, was wir für sie tun können? Ach bitte, Daddy?«
Ich war verlegen. Die Hambles hatten viele derselben Dinge wie wir, die sie zu schätzen wissen sollten, und ich wußte nicht so recht, welchen Ton ich für meine Antwort wählen sollte, da ich weder herablassend noch gleichgültig erscheinen wollte.
»Ich kann da auch nur raten. Vielleicht haben sie Sorgen oder sind einsam, oder es fällt ihnen schwer ... äh, über die Runden zu kommen, du weißt schon ...« Ich brach ab, denn ich hörte bereits, wie meine Frau Atem holte, um mir zu Hilfe zu eilen.
»Dein Vater hat recht, meine Liebe.« Normalerweise unterstützt sie mich immer so und erkennt dabei gar nicht, wie sehr ihre Unterstützung zeigt, daß ich sie wirklich brauche, und fuhr dann fort (und wie — wie immer eben): »Aber man kann es natürlich nicht wissen. Man muß immer in Bereitschaft sein, darf allerdings nie neugierig oder aufdringlich erscheinen. Die Leute brauchen Hilfe zur Selbsthilfe und keine Gefälligkeiten, die Kraft, mit einer Umgebung zurechtzukommen, die sie ihrer Rechte beraubt, keine Gefälligkeiten, die man ihnen auf dem Silbertablett serviert. Man muß dafür arbeiten, diese Beraubung zu beseitigen, ihnen zeigen, was sie tun können, um sich selbst zu helfen. Wohltätigkeit zerstört Geist und Seele. Niemand läßt sich gern bemitleiden. Selbstrespekt und menschliche Würde sind die Dinge, die wichtig sind.«
Ich nickte, um meine vorbehaltlose Zustimmung auszudrücken, denn ich hatte es eilig, aufzustehen und den Fernseher einzuschalten. Obwohl ich nicht wirklich so tun kann, als würde ich ihr zustimmen, wenn ich mir überlege, wieviel von meinem Selbstrespekt und meiner Würde ich aufgeben würde, nur um das zu bekommen, was jeweils auf dem Silbertablett präsentiert wird. Als ich dann von meinem Stuhl aufstand, mir den Mund abwischte und noch immer nickte, sah ich, daß meine Tochter eingehend darüber nachdachte, wie sie sich in Bereitschaft halten könnte, ohne neugierig oder aufdringlich zu sein. Wahrscheinlich wird Virginia es sein müssen, die sie irgendwann ihr Leben aushauchend vor dem Gasofen findet, die sich erst gestattet, Mitleid mit ihnen zu
haben, wenn ihr Geist zusammen mit so ziemlich allem anderen zerstört ist, von etwas, das kälter ist als Wohltätigkeit.
Dann war es aber ich, zu dem sie ein paar Tage später kam, nicht ihre Mutter.
»Ich gehe mal schnell zu den Hambles«, sagte sie.
Ich nahm die Fernsehzeitung zur Hand und erwiderte: »Das ist aber nett. Wie wär’s mit einem Ausflug in den Park nach dem Mittagessen?«
»Ich dachte, ich borge mir irgendwas von ihnen.«
»Irgendwas? Du kannst doch nicht einfach da hineinschneien und sagen: ›Kann ich mir irgendwas ausborgen?‹«
»Ich weiß schon, was ich mir borgen will, Dummkopf.«
(Ich mag es, wenn sie mich so nennt. Wir fühlen uns dann mehr als Familie — aus drei Kindern und einem Elternteil. Ihre Mutter nennt sie nie Dummkopf. Weil sie nämlich keiner ist.)
»Und was wäre das?«
»Eine Kerze.«
»Aber wozu denn? Was willst du denn jetzt schon wieder ausschalten?«
(Das bezog sich auf eine gerade laufende Stromsparkampagne. Mein Sohn hatte sich angewöhnt, vor dem Klo zu warten, so daß er in dem Augenblick, da er die Spülung hörte, das Licht ausschalten konnte. Manchmal badete er sogar im Dunkeln. Einmal schaltete ich das Licht im Eßzimmer aus, als er gerade mit einem Tablett voller Gläser und einem Krug Wasser zum Tisch ging. Weil ich zufällig genau den Augenblick gewählt hatte, als meine Frau Virginia erklärte, warum sie diese oder jene Streikenden unterstützen müsse, und nicht in erster Linie, weil sie den Krug voll Wasser auf den Schoß bekam, verlief das Essen größtenteils schweigend. Bei einer anderen Gelegenheit hätte ich mich fast umgebracht, weil ich die Treppe
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