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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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sich einfach angesammelt, aber während ich es jetzt sortiere, um ihm eine gewisse Kontinuität zu verleihen, scheint das unchronologische Durcheinander eine gewisse Wahrscheinlichkeit an sich zu haben, falls dies das richtige Wort dafür ist. Aber es ist auch ziemlich lästig, wenn man nicht weiß, in welcher Reihenfolge die Dinge stehen. Das Kuddelmuddel ist ja ganz in Ordnung, wenn man es in Ruhe läßt. Herumwursteln ist natürlich, das können wir am besten. Deutlichkeit macht das Leben schwierig, eigentlich gibt es kaum etwas, das dafür spricht.
     
    So bin ich zum Beispiel eben auf eine weitere handschriftliche Notiz über einen Fensterputzer gestoßen, der im Haus gegenüber wohnte, als ich einzog. Sein Transporter stand, mit einer Leiter auf dem Dach, vor dem Haus. Beim Einsteigen sah er, daß ich zu ihm hinüberschaute, und er stieg sofort wieder aus und kam mit breitem Lächeln und ausgestrecktem Arm herüber, um mich zu begrüßen. Er hatte sorgfältig geschnittene, sauber gescheitelte, dick pomadisierte, schwarze, vielleicht gefärbte Haare, die so gar
nicht zum Durcheinander des restlichen Kopfes paßten — ein großer, schlaffer Mund mit weit auseinanderstehenden, schiefen, rostigen Zähnen, großen, asymmetrischen Ohren und einem halb geschlossenen Auge. Es war, als müßte die Spitze des Kopfes den Schein für alles andere wahren. In der Tür stand seine Frau; sie hatte die Arme um zwei kleine Kinder gelegt, die ihrerseits ihre Arme erhoben hatten, um ihm zu winken. Aus meinem erst kürzlich installierten CD-Player drang Musik in den Garten.
    »Aha, Sie mögen’s klassisch«, sagte er. Ich nickte. »In meinem Beruf hört man so ziemlich jede Art von Musik, die je erfunden wurde. Ich mag sie alle, außer bei mir zu Hause. Seien Sie herzlich willkommen, und falls es irgend etwas gibt, zögern Sie nicht ... Ich putze auch Ihre Fenster, wenn Sie mich nur höflich darum bitten.«
    Das sagt er mit einem Zwinkern, zu dem ein beträchtliches Verziehen seines weitläufigen Mundes gehörte. Die Arme seiner Kinder hinter ihm waren noch immer erhoben, die Hände winkten.
    In meiner Jugend stellte ich mir oft vor, wie kurios es wäre, ein Fensterputzer zu sein, die Sachen, die man sehen, die Anträge, die man bekommen könnte, usw. Jetzt natürlich nicht mehr, o nein — das dauernde Leiterklettern, meine ich. Dennoch sagte ich idiotischerweise: »Sie haben schon so einiges gesehen, kann ich mir vorstellen.«
    Er warf einen schnellen Blick zu seinem Haus hinüber. »Das ist eine ganz wunderbare Familie, die Sie da sehen. Ich lasse meine Frau in dem Glauben, daß ich nie etwas sehe, wenn Sie es unbedingt wissen wollen. Das einzige, worüber sie sich den ganzen Tag den Kopf zerbricht, ist, daß ich auf dieser Leiter vorsichtig bin. Sie denkt überhaupt nicht daran, daß ich in Fenster luge, nur daran, daß ich da rauf- und runterkomme, ohne mir das Kreuz zu brechen. Ich mache eh nur Wohnhäuser. Da kann man nicht so tief fallen.«
    Sein Lächeln war verschwunden, und ich schämte mich. »Tut mir leid«, sagte ich und stammelte dann weiter: »War sozial selber auch kein großer Kletterer. Angst vor der Höhe. Auf halber Höhe der Karriereleiter habe ich den Halt verloren ...«

    Er schaute mich und meine wachsende Verlegenheit an, ohne auch nur den Anflug eines Lächelns, und dann gab er mir einen Klaps auf den Arm. »Kleiner Witzbold, wie ich sehe. Gefällt mir. So kann man sich wenigstens selber ein bißchen aufheitern.«
    So wurde ich also in meine Schranken verwiesen, und es geschah mir recht. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum ich das niederschreibe. Der Fensterputzer zog bald danach aus, und einige Zeit später sah ich ihn weit oben an einem sehr hohen Gebäude, auf einer Plattform, die vom Dach herunterhing. Es sah angsteinflößend gefährlich aus. Ich dachte an seine Frau und seine Kinder, die auf ihn warteten, und fragte mich nicht, was er da oben im Schilde führte, oder zumindest nicht lange, denn solche trivialen Spekulationen wurden viel zu sehr überschattet von der Frage, ob sie ihn wiedersehen würden.
     
    Ich weiß nicht so recht, warum ich mir die Mühe gemacht habe, das alles aufzuzeichnen; vielleicht nur, um mich selber daran zu erinnern, daß es Leute gibt, die ihren Lebensunterhalt auf gefährliche Art verdienen. (Ein Satz kommt mir in den Sinn, Gott weiß, woher: Die in Schiffen das Meer befahren und Handel treiben auf großen Wassern.) Ich sehe diese kleine Familie versammelt,

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