Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
um ihm zum Abschied zu winken, stelle mir ihre stummen, aber unaufhörlichen Gebete vor. Und ich bin froh, daran erinnert zu werden, auch an die Unzulänglichkeit des Humors, auch wenn ich die schon längst aus anderen Gründen erkannt habe, da doch jeden Augenblick etwas Schreckliches passieren könnte und auch passiert. Ich denke an diese Freundlichkeit, an diesen glänzenden Haarschopf, das Bedürfnis, allen Unzulänglichkeiten zum Trotz den Schein zu wahren. Ich habe keine Ahnung, wie er heißt, aber ich denke an ihn, sooft ich zu seiner Tür hinüberschaue. Er steht für etwas. Ich weiß noch gut, wie er wegfuhr, dann schon wieder mit diesem breiten, schiefen Lächeln im Gesicht, und wie er in beide Richtungen winkte, zu mir und seiner Familie.
»Man sieht, daß Sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen«, rief er mir noch zu, bevor er Gas gab und davonfuhr.
Ich schaltete den CD-Player aus: ein Lied übers Erheben aus
der Drangsal dieser traurigen Welt. Unangemessen in diesem Zusammenhang.
Da steckt noch etwas anderes drin, glaube ich. Daß es jeden Mann oder jede Frau oder jede Familie treffen kann. Es ist nicht nur so, daß jeder eine Geschichte zu erzählen hat, wie zutreffend das auch sein mag. Sondern daß jeder, auf welche Weise auch immer, am Rande einer Katastrophe gesehen werden kann. Und so kommt es, daß ich manchmal, bevor ich einschlafe, den Fensterputzer sehe, dessen Namen ich nicht kenne, sehe, wie er von seiner Plattform weit oben an einem hohen Gebäude stürzt, und dann warte ich auf den Schrei, der nie kommt.
Um zu John Brown zurückzukehren. Kurz nach der Begegnung im Laden an der Ecke sah ich ihn eines Nachmittags einen Rollstuhl über die Uferpromenade schieben. Er ging von mir weg, aber er drehte sich einmal um, hob den Kopf und öffnete seinen Mund weit, vielleicht um einen tiefen Zug Meerluft einzuatmen, aber es sah eher aus wie ein stummer Schrei. Dann streckte er den Arm aus, um zu deuten, aber da draußen war nichts, auf das er hätte deuten können. Er beugte sich wieder vor, und dann verschwanden sie in einer Seitenstraße.
Als wir uns das nächste Mal im Connaught trafen, erzählte er mir ein wenig über sich selbst, daß er oben im Norden eine Art Transportmanager gewesen war. Wir bezahlten unsere Drinks, nachdem er um einiges mehr konsumiert hatte, als mir gestattet war. Nicht das geringste Anzeichen, daß er mich anpumpen wollte. Wir beäugten das Mädchen aus Simbabwe, zuckten die Achseln, grinsten. Vieles von dem, was er über so ziemlich alles sagte, lief darauf hinaus, daß es nur ein Haufen Blödsinn sei, daß man eh machen könne, was man wolle, daß man sich keinen Deut drum zu scheren brauche usw.
Das alles brachte mich dazu, ihn aufheitern zu wollen. Und als ich von der Toilette zurückkam, fing ich deshalb an zu singen: »Oh, wie gern pinkle ich am Meeresrand, oh, wie gern pinkle ich am Meer.«
Erbärmlich unlustig, das brauchen Sie mir nicht zu sagen, aber
er fing an zu lachen und konnte nicht mehr aufhören, krümmte sich förmlich vor Lachen, so daß ich das Barmädchen rufen und um ein Glas Wasser bitten mußte. Schließlich beruhigte er sich so weit, daß er nur noch keuchte.
»Nicht sehr lustig, wenn man sich’s recht überlegt«, brachte er schließlich hervor.
Ich nickte. »Nicht im geringsten.«
Er nahm seine getönte Brille ab und wischte sich die Tränen aus den Augen.
»Wenn Sie nur wüßten, wie sehr man einen guten Lacher nötig hat«, sagte er. »Ja, verdammt, wenn Sie es nur wüßten.«
Bald darauf ging er. An der Tür winkte er mir und warf dem Barmädchen eine Kußhand zu. Sie hob die Hand und schaute ihm lange und mit einem versonnenen Blick nach. Vielleicht träumte sie vom Busch in Simbabwe. Dann merkte sie, daß ich sie anstarrte, und schenkte mir das allersüßeste Lächeln, wobei sie zweifellos an einen einzelgängerischen Elefanten oder irgendein anderes älteres wildes Tier an einem Wasserloch dachte ...
KAPITEL VIER
J anes Todestag. Es ist spät, und es gießt in Strömen. Da ich nach einem langen Spaziergang am Wasser den Nachmittag über gedöst habe, kann ich jetzt nicht schlafen. Auf meinem CD-Player läuft ein Impromptu von Schubert. Ich habe mir die Mappe mit ihrem Namen darauf vorgenommen. Ungefähr ein Dutzend unnumerierte, getippte Blätter befinden sich darin. Ich hatte nur wenig Zeit darauf verwendet, vielleicht weil mir bewußt wurde, daß ich sie, sosehr ich mich auch bemühte, in der Sprache ebensowenig
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