Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
wieder zum Leben erwecken konnte wie tatsächlich.
In der Broschüre zur CD wird Schubert dahingehend zitiert, daß alles, was er je geschrieben habe, aus seinem Wissen um die Musik und seinem Leid komme. Jeder wird ins Herz dieses Leids gezogen, aber ohne das Wissen, das, so die Broschüre, »unübertroffen« war, würde das nie passieren — ich will damit sagen, in meinem Fall ist so viel Gefühl da, daß ich, ohne sein Äquivalent in der Sprache zu finden, nicht einmal hoffen kann, es je auszudrücken, außer daß es das mächtigste aller Gefühle ist. Und wenn es nicht ausgedrückt wird, wie kann man sich seiner sicher sein, wie kann es überdauern?
Wie ich weiter aus dem Text erfahren habe, wußte er, daß ein Großteil der Musik, die er schrieb, vor allem gegen Ende seines Lebens, wahrscheinlich von niemandem gehört wurde außer vom kleinen Kreis seiner Freunde, so daß er letztendlich für uns schrieb. Janes Familie war es, die mich mit Schubert bekannt machte. Ich war damals über Weihnachten bei ihnen zu Besuch, und es war eine Familientradition, beim Nachmittagstee etwa eine halbe Stunde lang Musik zu hören. Ich habe vergessen, was genau gespielt
wurde, aber ich weiß noch genau, daß ich damals sagte, ich wisse nicht viel, eigentlich gar nichts über klassische Musik, sei ein völliger Ignorant in diesem Bereich — genau mit diesem Wortschwulst. Worauf Jane meinte, dann könne es nicht schaden, mit Schubert anzufangen, »der einen nie enttäuscht«. Und ihr Vater ergänzte: »Vor allem das Spätwerk, Tom, das stößt einen direkt aufs Wesentliche. Er lag bereits im Sterben. Und noch so jung. Eigentlich ziemlich trostlos, so ein Ende wünscht man niemandem.« »Aber es ist meistens einfach so wunderbar, das ist alles«, fügte seine Frau hinzu. »Irgendwie so persönlich für jeden von uns.«
Ich konnte ihnen kaum erzählen, daß meine einzige Erinnerung an Schubert der Abend war, an dem Maureen mich besuchte, meine wohlüberlegten Vorbereitungen darauf, wie ich mit einem Schubert-Impromptu im Hintergrund penibel den Tisch deckte, während sie oben ein Bad nahm. Es lag mir sehr viel daran, sie in beiderlei Hinsicht zu beeindrucken. Ob ich es geschafft habe oder nicht, weiß ich nicht mehr.
Wie auch immer. Hier nun, was ich zu der Zeit schrieb. Der Bericht besteht aus zwei Teilen.
Ich traf sie, als ich nach London fuhr, um Mrs. Bradecki zu besuchen, die mit ihrer kleinen Wohnung und dem Garten so zufrieden wirkte, wie sie nur sein konnte — so weit entfernt von allem, was sie je durchgemacht hatte, umgeben von Erinnerungen an ihren geliebten Mann. Als ich sie dann, mit den Worten: »Ich finde schon selber hinaus«, wieder verließ, hörte ich sie Polnisch reden, doch nicht wie in einem Selbstgespräch, sondern so, als würde sie jemandem ausführlich etwas erklären. Ich bin mir sicher, daß sie mit ihm redete, nachdem sie meine Anwesenheit bereits vergessen hatte, obwohl ich noch in Sichtweite war — vielleicht erzählte sie ihm, wo sie diesen Strauch oder jene Blumen pflanzen wollte, oder sie fragte ihn, ihrem Tonfall nach zu urteilen, nach seiner Meinung.
Auf dem Weg nach draußen hörte ich irgendwo leise Musik spielen und bemerkte einen neuen CD- und Kassetten-Player auf der
Anrichte und ein Regal mit CDs und Kassetten an der Wand darüber. Da fiel mir wieder ein, daß Jane mir etwa ein Jahr zuvor erzählt hatte, sie habe ihr den Player geschenkt, »damit sie nach Herzenslust Chopin hören könne«. (Adrian und Jane lassen sie natürlich immer noch umsonst dort wohnen. Ich nahm an, daß die Musik Chopin war, und blieb stehen, um zuzuhören. Mrs. Bradecki war mir gefolgt, und ich sagte ihr jetzt, wie schön das sei. Als ich mich verabschiedete, sagte ich ihr noch, wie schön ihr Garten aussehe. Sehr schön. Worauf sie sagte: »Alles ist sehr schön, vielen Dank, Mr. Ripple.«
Jane. Wir trafen uns im Waterlow Park in Highgate. Ich war noch nie zuvor dort gewesen. Sie hatte in der Nähe eine Studentenbude gehabt. Es sei einer ihrer Lieblingsplätze, sagte sie. Als ihre Eltern sie zum ersten Mal besuchen kamen, war sie auch mit ihnen dorthin gegangen. Sie hatte ihr erstes Rendezvous mit Adrian dort gehabt. Sie sagte mir, er sei geschäftlich unterwegs. Ich sollte hinzufügen, daß sie es gewesen war, die mich angerufen und gesagt hatte, sie wolle mich sehen. Der Besuch bei Mrs. Bradecki am selben Tag war ebenfalls ihre Idee gewesen.
Wir trafen uns am Eingang des Parks, und sie
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