Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
sagte er, er hätte sich überlegt, eine richtige Ansprache über Jane als Person zu schreiben oder jemand anderen zu bitten, es zu tun. Aber nichts, was er oder sonst jemand sagen könnte, würde diesem ganz außergewöhnlichen Menschen gerecht werden, den sie alle ganz persönlich in ihrem Herzen bewahrten. An diesem Punkt sah ich einige Köpfe nicken. Janes Eltern in der ersten Reihe saßen absolut bewegungslos da, die Schultern aneinandergedrückt, die Rücken gerade. Man merkte, daß sie sich sehr fest an den Händen hielten.
Dann las er stockend den Psalm, der beginnt mit: »Herr, wer darf Gast sein in deinem Zelte? Wer darf weilen auf deinem heiligen Berge?« Danach setzte er sich wieder neben Adrian ans andere Ende der ersten Reihe.
Darauf folgte der 1. Korintherbrief 13, gelesen von einer Frau etwa in Janes Alter, die nicht fortfahren konnte, als sie zu der Stelle kam, die begann mit: »Als ich ein Kind war ...« Sie stand
einfach da, die Lippen zusammengepreßt, die Bibel zitternd vor ihrer Brust. Nach einer Weile stand Adrian auf, legte ihr die Hand auf den Rücken und schaute sie mit einem zärtlichen, fragenden Lächeln an, das ich an ihm noch nie gesehen hatte. Sie erwiderte das Lächeln, atmete einmal tief durch und konnte dann bis zum Ende weiterlesen, wobei ihr die Tränen über die Wangen kullerten, sooft sie zwinkerte. Ihre Stimme blieb klar und fest, obwohl ihr einige Tränen in die Mundwinkel liefen. Vielleicht eine alte Freundin aus der Kindheit.
Dann stand ein älterer Mann auf und sagte, Jane habe eine Woche vor ihrem Tod darum gebeten, ihn noch einmal zu sehen. Sie habe ihm etwas über Adrian sagen wollen, wie wunderbar ihre Ehe gewesen sei, daß es nie einen anderen hätte geben können. Dann habe sie ihn gebeten, bei ihrer Bestattung etwas zu lesen, das sie in der Schule durchgenommen hatten. Er habe ein Gedicht ausgesucht, das er ihr in der sechsten Klasse vorgelesen hatte, mit dem Titel »Die Hochzeiten zu Pfingsten«. Sie habe damals über die Bedeutung der letzten Zeile diskutiert und gemeint, wie traurig sie doch sei. Das sei das einzige Mal gewesen, sagte er, daß sie sich in seinen Augen geirrt hatte. Er sei enttäuscht gewesen, daß sie beschlossen hatte, an der Universität nicht Englisch zu studieren, da sie eine ganz außergewöhnliche Liebe für die Sprache gehabt habe. Sie habe gemeint, sie könne keine Lehrerin werden und daß sie sich mit Jura auf andere Weise nützlich machen könne. Vielleicht solle er das nicht sagen, aber er hoffe, daß man in der City ihr Talent nicht vergeudet habe. Es überrasche ihn nicht, daß sie sich für die Feier Tyndale ausgesucht habe. Sie hätten einen wunderbaren Nachmittag damit verbracht, sein Neues Testament mit der autorisierten Version zu vergleichen. Als sie ihn eines Tages besuchen kam, habe sie ihm erzählt, sie habe sich auf der Zugfahrt an das Gedicht erinnert, und wie sehr sie es liebe.
Wie das Gedicht über das Meer war auch dieses in dem Buch, das der Vikar mir geschenkt hatte, auch wenn ich es vergessen hatte und es für mich so war, als hätte ich es nie gehört.
Er las es sehr schlicht, ohne irgendeinen besonderen Tonfall in der Stimme, und er zögerte lange, bevor er die letzte Zeile las.
Auch auf mich wirkte sie traurig, und Jane hatte ja meistens recht gehabt. Schließlich trat ihr Bruder noch einmal vor und las die Seligpreisungen.
Nun wurde ein Lied gespielt, gesungen von einer wunderschönen Frauenstimme, und wir warteten darauf, daß der Sarg nun davongleiten würde, aber er blieb, wie zurückgehalten von der Musik, um in völliger Stille von ihr umfaßt zu werden. Als das Lied zu Ende war, wurde es noch einmal gespielt, während der Sarg nun doch verschwand, bis die Musik in einem riesigen Leerraum hallte. In diesen Minuten knieten einige, andere standen, darunter auch Janes Eltern, er sehr aufrecht und zur Decke hochstarrend, sie mit gesenktem Kopf. Nachdem das letzte Echo verklungen war, bewegte sich ziemlich lang keiner, als wollten sie alle, daß die Musik weiterspiele, und als wäre, solange sie währte, Jane noch unter ihnen.
Draußen gaben Janes Eltern allen Leuten die Hand oder umarmten sie. Einige weinten. Nur diejenigen, die sie am meisten geliebt hatten, konnten es sich nicht leisten zu weinen. Als ich mich näherte, hörte ich ihren Vater sich eben entschuldigen, daß es keinen Leichenschmaus geben werde, daß sie aber gern alle sehen wollten, wenn man ihnen nur etwa eine Woche Zeit ließe. Es gab
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