Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
obskures Forschungsprojekt über die Geschichte der Schwarzfußindianer müßte dann vielleicht auch noch erfunden werden, was auf den ersten Blick nicht unbedingt kompatibel wäre mit Kirchen in Norfolk zur Zeit der Reformation — doch immerhin würde es, durch Mrs. Hirst übermittelt, den Felix etwas zum Nachdenken geben.
Bridget und ihre Freundinnen waren manchmal auf der Straße
zu sehen, und sie grüßten mich immer recht freundlich. Abends war hin und wieder Musik zu hören, aber eher leise. Es käme mir nicht gelegen, von ihnen allzu eingehend nach Nova Scotia und den Schwarzfüßen befragt zu werden. Oder über Kanada im allgemeinen. Ich müßte mir dann eventuell ein Buch aus der Bibliothek ausleihen. (Als ich das letzte Mal dort war, fragte mich die Assistentin am Ausgabeschalter: »Und in welche Gefilde begeben wir uns heute, Mr. Ripple?« Entweder dachte sie, ich hätte eine lobenswert breite Spannweite von Interessen oder ich könne mich nicht entscheiden, wofür ich mich wirklich interessierte — abgesehen von Entdeckerbiographien. Es stimmt, ich neige dazu, Bücher völlig wahllos aus den Regalen zu ziehen. Wie das Leben selbst mußte auch mein Wissen darüber dem Zufall überlassen bleiben.) Noch immer gab es keine Vorhänge an den Fenstern und oben kein Licht.
Rosie freute sich immer am meisten, mich zu sehen, und sie winkte freundlich, als wäre ich für sie eine willkommene Unterbrechung in der beständigen Überlastung ihres Lebens. Und da der Sommer vor der Tür stand, waren die Tomkins wieder öfter auf der Bank in ihrem Garten zu sehen, meist schauten sie ihn einfach nur an, manchmal deuteten sie auf dies und das und überlegten sich vielleicht, wie sie die Zwerge und Tiere anders verteilen könnten. Das streitende Paar stritt sich immer noch, Flüche und Verwünschungen hallten die stille Straße entlang wie Mahnungen an die Wirklichkeit. Doch wann immer man sie sah, gingen sie Hand in Hand, kurz davor, sich zu küssen, oder kurz danach. Es wirkte wie eine Inszenierung — die Tugend stellt sich zur Schau, wie um die Wirklichkeit unwirklich erscheinen zu lassen.
Nach Janes Tod redete ich anfangs ziemlich oft mit Adrian, auch wenn wir beide nicht so recht wußten, was wir sagen sollten. Er hielt sich beschäftigt. Er fuhr wieder nach Ungarn, um seinen Auftrag dort zu beenden, und sprach von anderen Aufträgen im Ausland, die er sich durch den Kopf gehen lasse. »Mein Leben ist sonst so verdammt leer«, sagte er einmal. Bei einer anderen Gelegenheit fragte ich ihn, ob er seine Mutter sehe, die kürzlich nach
Somerset gezogen war. Er sagte, sie telefonierten oft miteinander, aber nicht sehr lange. Offensichtlich wußte auch sie nicht, was sie sagen sollte. Ich fragte ihn, ob sie dort unten Möglichkeiten finde, Gutes zu tun. Ich meinte es nicht sarkastisch und beabsichtigte auch keinen Vergleich mit mir, der nirgendwo irgendwem irgend etwas Gutes tat. Ich hoffte aufrichtig, daß sie in Somerset nicht versauerte.
»Sie hat in ihrem Leben wirklich viel Gutes getan, Dad. Wir sollten das nicht kaputtreden. Ja, sie scheint sich wirklich beschäftigt zu halten.«
Ich bin meinem Sohn so fremd, dachte ich in diesem Augenblick, daß er nicht einmal ernsthaftes Interesse in meiner Stimme erkennt. Wie wenig wir doch an gemeinsamer Basis hatten.
»Adrian, bitte. Es würde mich ganz einfach nur freuen, wenn sie sich auf die Art beschäftigt hält, die sie wirklich gut kann. Ich hoffe nur, die Leute dort wissen, wie glücklich sie sich schätzen können, sie zu haben.«
»Okay, Dad.«
Es war zu spät. Ich hatte ihn nicht überzeugen können. Hätte es auch nicht verdient. Ich dachte: Ich frage mich, ob sie weiß, wie sehr er Jane noch immer vermißt, und ob all die Worte, die sie benutzt hatte, um anderen zu helfen, jetzt für ihren Sohn reichen würden. Es wäre mir lieber gewesen, ich hätte das nicht gedacht. Es wäre mir lieber gewesen, ich könnte Adrian sagen, daß auch ich Jane furchtbar vermißte. Daß ich, mit einem Wort, in sie verliebt gewesen war ohne jeglichen Wunsch, mit ihr zu schlafen oder sie ohne Kleider zu sehen. Ganz im Gegenteil. Ich wollte diesen Gedanken nicht weiterspinnen, nicht einmal nur ganz für mich privat. Es gab eine Pause. Dann sagte er: »Mum versteht mich wirklich, Dad, obwohl die beiden nicht sehr viel gemeinsam hatten. Es war ein bißchen wie eine Einbahnstraße.«
Ich wußte, in welche Richtung die Einbahnstraße ging: so wie es früher war. Wie unglaublich
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