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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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Kirchenlieder mag ich wirklich, und auch das andere. Als Kind war ich oft.«
    Als ich davonging, sagte sie noch: »Sehen Sie. Und, Professor, Rosie ist ein braves Mädchen. Seien Sie nett zu ihr.«
     
    Ich hob meinen Stock und machte mich auf zu meinem »kleinen Spaziergang«. Früher oder später würde sie mir über die Leute von Nummer 27 erzählen müssen. Wenn sie es dann tat, würde ich ihr gern sagen können, ich hätte bereits alles gehört, was es zu wissen gebe. Aber ich wußte nichts. Ich wollte nicht, daß sie zum Klatschthema wurden. Und Mrs. Hirst offensichtlich auch nicht. Ich dachte daran, wie die Frau mich angeschaut hatte, als sie die Kirche verließ. Die Scham, die Verzweiflung in diesem Blick. Aber jetzt würde die ganze Nachbarschaft, oder zumindest der kirchgehende Teil über sie klatschen — diese Stimme, der Zusammenbruch. Ich fragte mich, was ich mehr hätte tun können. Jetzt tun könnte. Die Antwort war: nichts. Halt dich raus. Es war nicht meine Tugendhaftigkeit, die befriedigt werden wollte, sondern meine Neugier, und die konnte warten. Ganz im Gegensatz zur Tugend.

    Der letzte Sommer des alten Millenniums brach an. Unsere Vorstadt liegt etwa eine Meile nördlich des Hauptstrands und der eigentlichen Promenade, wo die ganzen großen Hotels sind. Das Stadtzentrum war so überfüllt wie nie, als hätte jeder es eilig, sein Geld auszugeben, bevor es zu spät ist. Unter der Promenade befindet sich eine Zeile mit Läden und Ständen, die die üblichen, billigen, strandtypischen Verbrauchsgüter verkaufen. Genau das, was die Leute wollen. An einem schönen Tag fahre ich manchmal mit dem Bus dorthin und schlendere herum, während das Meer funkelt, als wären diejenigen, die sich dort tummeln, eingeladen worden, seine unermeßlichen Schätze zu plündern, und könnten jetzt ihr Glück kaum glauben. In der mittleren Distanz stellen sich vielleicht ein paar Schnellboote zur Schau, und am Horizont machen ein Frachtkahn oder ein Tanker keine sichtbare Fahrt, im Bauch die notwendige Ladung, um das Leben in der ernsthaften Zeit dazwischen in Gang zu halten. Aus der Entfernung wirkt all das Herumtollen am Wasserrand so nahe an echter Freude, wie es nur geht.
    Dort hinunter gehe ich nicht, ich ziehe es vor, an der Budenzeile unter der Promenade entlangzuwandern und nach einer leeren Bank zu suchen. Dieses Durcheinander von Waren — die Hüte und Postkarten und Fähnchen und Strandspielzeuge und Souvenirs und Eiscreme und Hot dogs, dieser ganze grelle, kunterbunt gemischte Tand — scheint zu zeigen, welchen weiten und trivialen Weg wir noch zurücklegen müssen, um die ernsthaften Tage und Nächte zu ertragen, die uns bevorstehen. Abseits des glitzernden Wassers ist die Freude nicht mehr da. Zumindest bei den Erwachsenen. Niemand lächelt oder ist auch nur kurz davor. Oder redet viel. Die Wörter fangen an und hören wieder auf, als würde ein neues Vokabular erfunden für den Versuch, sich zu amüsieren. Die Kinder lernen, sich nicht zu sehr zu begeistern, da sie eben einen Anpfiff bekommen haben oder kurz davor sind, einen zu bekommen. Ferien sind auch dazu da, um herauszufinden, wie wenig man sich leisten kann. Abgesehen von den verschiedenen Stufen der Bräune könnte man die eben Angekommenen nicht von denen unterscheiden, die kurz vor der Abreise stehen. Alle guten
Dinge gehen bereits wieder zu Ende, sobald sie begonnen haben. Aber unten am Strand ist alles anders: die Ballspiele und Sandburgen, das hochbeinige Staksen im Wasser, das Kreischen und Planschen, und wenn man genau hinhört, auch das Lachen. Hier und dort gibt es solche, die einfach nur in Liegestühlen sitzen, dem Treiben zuschauen oder dösen. In Gedanken oder in Trance, und der Kopf wird langsam leer.
    Nein, so einfach kann es nicht sein. Ich sitze auch nur da, aber ich erinnere mich, und die Gedanken gehen im Kreis herum. Es ist nicht für jeden dasselbe. Man kann zur Sonne erhobene Gesichter sehen, die lächeln über etwas, das vor langer Zeit passiert ist. Sie werden daran erinnert. Jeder trägt einen anderen Verlust mit sich herum. Glück verdüstert sich zu Kummer oder wird ausradiert. Das Bewußtsein wird nicht geleert. Wenn die alltäglichen Begebenheiten und Sorgen allmählich vergessen werden, entstehen Leerstellen, die wieder aufgefüllt werden müssen. »Wo ist das alles hin?« fragen wir uns. Es gibt immer mehr zu erinnern. Das Gedächtnis quillt über. Der Kummer des Verlusts, der Vergeudung, der Vergeßlichkeit. Das

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