Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
die halb geöffnete Faust vor den Bauch. Ich warf noch einen letzten Blick auf dieses eingeklammerte Grinsen und stellte es mir auf seinem Gesicht vor, wenn er meinen Sohn ausfragte. Den Rest des Tages lief meine Phantasie derart auf Hochtouren, daß ich am Abend beim gemeinsamen Abwasch mit meinem Sohn die Unterhaltung folgendermaßen begann:
»Mr. Webb hat mir erzählt, daß du für Mum einen Tisch machst.«
»Das soll eine Überraschung sein.«
»Anständig von ihm, daß er dich seine Werkzeuge benutzen läßt und so.«
»Er kann das wirklich gut. Er hilft mir. Und er selber macht einen ganzen Schrank. Aber bitte, sag Mum nichts, okay?«
»Hast du Lust, an diesem Wochenende mit mir ins Museum zu gehen?«
»Ein anderes Mal, Dad, danke. Ich will nämlich Mr. Webb bei seinen Briefmarken helfen. Kann ich auch eine Briefmarkensammlung anfangen, Dad?«
»Natürlich kannst du das. Das ist eine gute Idee.«
»Das ist ziemlich teuer, weißt du. Die Sammlung von Mr. Webb ist Tausende von Pfund wert. Er sagt, so was regt seine Neugier auf die Welt an. Er stellt mir immer Fragen.«
»Was für Fragen?«
»Ach, du weißt schon. Sachen eben. Die Schule und was ich mal werden will und so.«
»Ich kaufe dir ein Briefmarkenalbum und einen Katalog und
ein paar Marken für den Anfang. Wann immer du willst. Was meinst du?«
»Danke, Dad. Aber wenn du nichts dagegen hast, kann ich statt dessen das Geld haben, damit Mr. Webb mir beim Aussuchen hilft? Er kennt da einen ganz speziellen Laden. Er meint, er hat sogar ein paar Tauschmarken, die er mir geben kann.«
»Ich könnte dir Marken aus dem Büro mitbringen. Wir bekommen Briefe von überall her. Japan, Brasilien und so weiter.«
»Wo Mr. Webb arbeitet, bekommen sie Briefe aus so ziemlich jedem Land auf der ganzen Welt.«
»Verstehe. Na ja, auf jeden Fall ist es gut, wenn ein Junge ein Hobby hat.«
»Das sagt Mr. Webb auch. Lenkt einen von anderen Sachen ab.«
»Was für andere Sachen zum Beispiel?«
»Ach, du weißt schon.«
Meine Frau war an diesem Abend in irgendeiner sozialen Mission unterwegs. Ich hätte sehr gern gewußt, wie sie mit dieser Situation umgehen würde. Was für eine Situation? würde sie vielleicht fragen. Oder andeuten, daß Webb quasi als Vaterersatz fungiere und wessen Schuld das denn nun sei. Vielleicht würde sie sogar Adrian gegenüber andeuten (meine Frau ist unfähig, Andeutungen zu machen, die die Leute nicht verstehen), daß er Webb weniger häufig besuchen sollte und daß von morgen an ein Vaterersatz überflüssig wäre. Sie würde mich mustern, wie um meine Fähigkeiten als Original einzuschätzen. Wie auch immer, es ist unmöglich, mit meiner Frau ein Gespräch anzufangen, wenn sie eben von einer sozialen Mission zurückkommt. Ich würde einfach nicht wissen, wie ich das Thema zur Sprache bringen sollte. Ich bringe so wenige Themen zur Sprache, eigentlich gar keine, soweit ich mich im Augenblick erinnern kann. Wenn ich das Thema Webb zur Sprache bringen sollte, würde es wohl ziemlich schnell zu einem Abschluß gebracht werden. Der etwa lauten könnte: »Na ja, ist das denn nicht eher deine Sache?« Deshalb ist es mir lieber, wenn die Sachen zwischen uns unabgeschlossen bleiben.
Ich glaube, lieber lebe ich mit der Unsicherheit, nicht zu wissen, worüber Webb und mein Sohn reden, als zu riskieren, daß meine Frau das Thema auf seine umfassenderen elterlichen (moralischen?) Aspekte ausdehnt. Ich will bei meinem Sohn keinen Argwohn wecken. Ich will, daß er so ist wie ich, wenn es darum geht, Feindseligkeiten zu vermeiden. Weswegen ich mich mit Sicherheit nicht schäme, ist die Tatsache, daß ich damals nicht alt genug war, um im Krieg gewesen zu sein; wenn ich es gewesen wäre, dann frage ich mich, wie ich wohl die Feindseligkeiten hätte vermeiden können, die man provoziert, wenn man versucht, sich aus allem herauszuhalten, und dabei wahrscheinlich mitten im Schlamassel landet. Ich kann mir das Gesicht meines Sohnes sehr gut vorstellen, wenn er wüßte, daß ich solche Sachen denke. Ich wäre gern ein Held gewesen, hätte für mein Land gekämpft usw., damit mein Sohn stolz auf mich wäre und meine Familie zu mir aufschauen würde. Aber ich werde wohl immer zu dieser Vielzahl von Männern gehören, die nie erfahren werden, was aus ihnen hätte werden können — zum Besseren wie zum Schlechteren natürlich. Jeder, dem man begegnet, ist eine Hypothese. Nicht »Wie geht es Ihnen«, sondern »Wie hätte es Ihnen ergehen können?«
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