Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
kann man einiges lernen.«
»Ich weiß. Du sagst mir aber schon Bescheid, wenn du dein eigenes Album willst, mh?«
»Mums Tisch ist schon fast fertig«, sagte er.
»Das ist schön. Siehst du Mrs. Webb jetzt eigentlich auch häufiger?«
»Wie bitte?«
Ich räusperte mich, schlug das Buch über Dr. Livingstone, das ich eben lesen wollte, auf, und wiederholte die Frage.
»Sie bringt uns Tee und Kekse.«
»Das ist ... Scheint ziemlich für sich zu bleiben, Mrs. Webb.«
»Wenn du es unbedingt wissen willst, sie tut mir leid.«
»Ach so? Warum denn das?«
»Wenn sie den Kaffee bringt, bleibt sie nicht da, um uns zuzuschauen oder zu reden oder sonstwas. Sie zieht immer die Nase hoch. Sie ist so dünn. Manchmal merke ich, daß sie mich anschaut.«
»Die Leute können nichts dafür, wie sie aussehen.«
»Genau das sagt auch Mr. Webb. Er sagt, wichtig ist nur, was unter der Oberfläche ist.«
»Na, dann lauf mal«, sagte ich.
»Ich will aber nirgendwohin«, sagte er.
Ich hoffe, daß der Ausflug in den Park noch irgendwann zustande kommt. Ich sehe, wie wir uns alle miteinander hinauswagen in die Welt, sogar die weite Strecke bis zum Park. All unsere Schwächen würden sich vereinigen zu einer Art Stärke. Ich stelle mir vor, wie Plaskett und Hipkin zufällig vorbeikommen, wenn wir alle um eine Decke herumsitzen, das gute Essen vor uns ausgebreitet, und wir zufrieden kauen, ohne reden zu müssen. Vielleicht würde in der Mitte auch eine Flasche Rotwein stehen, in der das Sonnenlicht funkelt. Sie würden uns aus der Ferne beobachten, hinter einem Baum hervor. Ihrer beider Leben würde sich durch den Anblick verändern. Vielleicht will ich doch die Welt ein kleines bißchen verändern. Sie ist ja wirklich ein schrecklicher Ort, ein böser und barbarischer Ort, für viele Menschen. Aber ich würde keinen von uns, die wir um die Flasche Wein und die Sandwiches herumsitzen, ändern wollen. (Bis auf mich, in geringem Maß, aber natürlich nicht so sehr, daß ich für meine Familie nicht mehr zu erkennen wäre, eigentlich vorwiegend mein Aussehen, so daß meine Phantasien nicht mehr ganz so phantastisch wären.) Auf keinen Fall würde ich zu sehr an dem herumpfuschen wollen, was unter der Oberfläche liegt, denn dadurch würde ich nur mir selbst Kummer bereiten. Ich mag es nicht, zu viel zu wissen. Auch mir tut Mrs. Webb leid, wie sie meinen Sohn betrachtet und sich wünscht, es wäre der ihre. Ich höre, wie sie sich nachts im Bett herumwirft und es nicht wagt, ihrem Mann zu so später Stunde zu sagen, was sie noch immer beschäftigt. Sie schnieft und sagt ihm
nur, sie hätte sich erkältet. Er kommt überhaupt nicht auf den Gedanken, sich zu fragen, woher sie diese Erkältung hat. Auch das ist ein Teil des Problems. Ich denke, daß sie sich vorstellt, meinen Sohn in ihren Armen zu halten, ihn zu baden, sich ganz allgemein um seine Bedürfnisse zu kümmern. Ich sehe, wie sie aufsteht, um in einem anderen Zimmer zu schlafen, wo sie in Frieden um all die Dinge weinen kann, die das Leben ihr verweigert hat, wo sie allein sein kann, um sich Adrian in ihrem Bauch vorzustellen. Ich stelle mir vor, wie sie ihrem Mann seine ehelichen Rechte verweigert, zumindest hoffe ich inständig, daß sie es mit meinem Sohn in ihrem Bauch tut. Ich habe meine Frau nie angerührt, wenn sie schwanger war, obwohl sie mir wiederholt gesagt hatte, es sei völlig okay, völlig bekömmlich usw. Ich habe meine Kinder nie bewußt kontaminiert (wenn das das richtige Wort dafür ist) noch irgend etwas getan, das mich erschaudern lassen würde, wenn ich sie ansehe. Ich könnte es nicht ertragen, daß sie sich fragen, welche Perversitäten ich in ihrer Nähe getrieben hatte, noch bevor sie geboren wurden.
Rückblickend betrachtet, sollte das nicht Naturkundemuseum heißen? Hiermit korrigiert.
KAPITEL SECHS
N och mehr Zeit ist vergangen.
Vor ein paar Tagen machte Plaskett Hipkin fertig, und ich fand mehr über mich selbst heraus. Plaskett hatte die Aufschlüsselung einiger Verkaufszahlen in gewisse Prozentanteile und Kategorien angefordert, die alle mit Gewinnspannen zu tun hatten. Hipkin hatte diese Art von Arbeit schon öfter erledigt, deshalb gab ich den Auftrag an ihn weiter. Als er mir das Ergebnis vorlegte, schien es mir eine ziemlich solide Arbeit zu sein (es war ja nicht viel, und ich packte bereits meine Aktentasche, weil ich es eilig hatte, wegen einer Fernsehsendung nach Hause zu kommen), ich setzte deshalb meine Initialen
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