Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Einsam. Manchmal sehr. Aber ich habe noch keinen getroffen, der ihm das Wasser reichen könnte. Was ist nur aus den Humorvollen dieser Welt geworden? Er meinte damals, ich sollte mir ziemlich bald einen suchen, der sich um mich kümmert. Ich vermisse ihn immer noch die ganze Zeit. So einfach ist das. Er wäre so stolz auf Susie und ihre Kinder gewesen. Ich stelle mir oft vor, wie er, als sie noch klein waren, mit ihnen im Garten gespielt hätte. Schluß damit. Sollte ja eigentlich ein fröhlicher Brief werden. War eine schöne Zeit, damals. Auch lustig. Erinnern Sie sich noch an den Teppich der Jenners? Wie auch immer, Sie sind ein Teil dieser Erinnerungen, ob Sie wollen oder nicht.
Viele liebe Grüße
Agnes
Ich antwortete fast sofort und in ähnlicher Länge. Ich schrieb ihr, wo ich jetzt lebte, was aus meinen Kindern geworden war und von Adrians Trauer. Ich sagte, daß ich mich natürlich an Susie erinnerte und sie für eine ganz reizende Person gehalten hatte – wobei ich nicht näher darauf einging, wie reizend. Ich sagte, sie sei verdammt unhöflich in bezug auf meinen Garten gewesen, und daß es ein typisches Beispiel dafür sei, wie taktlos und unaufmerksam die Amerikaner seien. Ich sagte auch, daß ich sie und den Colonel vermißte und daß es damals offensichtlich gewesen sei, wie sehr sie sich liebten, und jeder habe sehen können, warum,
und daß es auch in meinem Leben eine schöne Zeit gewesen sei. Schließlich schrieb ich ihr noch, ihr Brief sei eine ganz wunderbare Überraschung gewesen, und das Erinnertwerden an vergangene Zeiten sei ein Fehler, für den man manchmal ganz gern den Preis zahle.
Tags darauf kam Annelises Brief an. Sie schrieb: »Alles wie gehabt, ob Millennium oder nicht. Das Kind will noch immer nicht kommen. Wenn es ein Mädchen ist, werde ich dafür sorgen, daß es keine Ballerina wird, falls es je Kinder haben will. Ein Witz. Noch immer in derselben Wohnung in derselben Straße. Michelle hat einen Millionär geheiratet und lebt jetzt in New York. Wow! Alles Liebe, Annelise.«
Weihnachten verbrachte ich allein. Adrian meinte, Janes Eltern würden sich sehr freuen, wenn ich zu ihnen kommen würde. Es war das dritte Mal, daß ich ihre Einladung ablehnte. Er sagte, vielleicht würde sie das alle ein bißchen aufheitern. Aber wäre es denn für uns alle nicht so, daß wir, je mehr Aufheiterung passierte, nur um so stärker an das erinnert wurden, weswegen wir sie so nötig hatten? Außerdem wäre ich ein Außenseiter in einer Situation intensivster Privatheit — ich würde beeinflussen, was gesagt wurde oder was nicht. Das klingt rücksichtsvoll, aber ich erkenne jetzt, daß es das nicht war. Noch kann ich die Enttäuschung in Adrians Stimme hören. Sie wollten mich bei sich haben. Sie wollten Normalität, Unbeschwertheit, die kleinen Weihnachtsrituale, die Kontinuität der Tradition, die lustigen Hüte und die feierliche Musik. Sie wollten nett und gastfreundlich sein und Außenseitern gutes Essen und Trinken bieten. Sie wollten, was Jane gewollt hätte. Einander und jedem Anwesenden Freude bereiten. Wenn wir sagen, wir sollten Rücksicht nehmen auf die Gefühle anderer, sind es für gewöhnlich nur die eigenen, auf die wir Rücksicht nehmen — und der Stolz auf unsere Rücksichtnahme gehört dabei zu den wichtigsten. Sich Mühe und Peinlichkeiten ersparen gehört auch dazu. Ich hätte fahren sollen. Es hätte mir gefallen. Es hätte mir gutgetan. Ich hoffe, sie laden mich nächstes Jahr wieder ein. Mir zuliebe.
Sowohl Virginia wie Adrian riefen mich an. Virginia klang zur Abwechslung einmal ziemlich fröhlich. Anscheinend hatte ich tatsächlich die richtigen Geschenke für die Kinder ausgesucht; sie waren noch nicht kaputt oder achtlos beiseite gelegt worden, und es war noch nicht einmal sechs Uhr. Auf die Bücher, die ich ihnen geschickt hatte, reagierte sie weniger überschwenglich, nicht wegen der Bücher selbst, sondern weil sie nicht wußten, ob sie je die Zeit finden würden, sie zu lesen. Die Miniaturkopie einer Ming-Vase und die silberne Muskatreibe kamen viel besser an. Das Wichtigste war jedoch, daß Richard nach Weihnachten einen neuen Job anfangen würde, er würde für ein Gartencenter die Buchhaltung machen und Pflanzen in Auftrag geben und den ganzen Rest. Ich meinte, ich hätte ja gehört, daß man mit ihnen reden solle, aber sei es nicht ein bißchen übertrieben, ihnen gleich Aufträge zu geben? Das tue doch wohl nicht einmal Prinz Charles,
Weitere Kostenlose Bücher