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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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genau anschaute und erst meine Überraschung und die kurzfristige Verwechslung mit ihrer Schwester verarbeiten mußte, verstand ich gar nicht, was sie sagte. Das Lächeln war schlichte Verlegenheit.
    »... ob Sie mitkommen wollen. Am frühen Nachmittag. Sie spricht oft von dem netten Gärtner am Strand. Es wird ihr langweilig, die ganze Zeit immer nur ich.«
    Offensichtlich machte ich eine ziemlich erschrockene Miene, deshalb fügte sie sehr schnell hinzu: »Natürlich kann ich es durchaus verstehen, wenn ... Bitte sagen Sie es einfach ...«
    »Entschuldigung ... ?«
    Sie fing an, sich die Hände zu reiben, als wollte sie sie trocknen, vor allem zwischen den Fingern. »Ich habe mich nur gefragt, und das ist schrecklich aufdringlich, richtig unverschämt, ob Sie morgen mit mir kommen und Julia besuchen wollen.«
    »Aber natürlich. Tut mir wirklich leid. Bitte kommen Sie herein.«
    Sie schüttelte den Kopf, als hätte ich etwas Ungeheuerliches vorgeschlagen. »Morgen. Ich hole Sie ab. Gegen drei.«
    Und so kam es auch. Am folgenden Nachmittag fuhren wir dorthin. Sie erzählte mir, sie wohne jetzt bei ihrer Schwester und habe einen Teilzeitjob in einem Porzellangeschäft. Ich hoffte, sie würde mir auch ziemlich bald sagen, was ich zu erwarten hätte, was ich
sagen und was ich nicht sagen dürfe usw. Letztendlich sagte sie mir aber nur, daß Julia im Augenblick »stabil« sei und daß man allem Anschein nach jetzt endlich die richtige Medikation gefunden habe. Die Einrichtung sei ein neugebautes römisch-katholisches »Heim«, und die meisten der anderen Insassen seien auf die eine oder die andere Art geistig »zurückgeblieben«. Nun fragte ich, ob es irgend etwas gebe, das ich sagen oder nicht sagen sollte.
    »O nein, einfach nur übers Wetter und solche Sachen reden. Kann gut sein, daß sie uns überhaupt nicht zuhört.«
    Ich fragte, ob es in Ordnung sei, wenn ich ihr etwas schenke, und zog eine CD aus der Tasche, auf der Elly Ameling eine Auswahl von Schubert-Liedern singt. Aus irgendeinem Grund hatte ich zwei davon gekauft. Nein, der Grund war, daß ich die zweite vielleicht eines Tages als Geschenk würde brauchen können.
    Sie schaute sie sich an und lächelte. »Ach du meine Güte, ja. Das wäre ja ganz wunderbar.«
    Wir fuhren eine lange Auffahrt mit Wiesen zu beiden Seiten hoch. Auf einer stand eine Herde aus schwarzen und weißen Kühen. Auf der anderen standen zwei Pferde dicht beieinander, vom Kopf bis zum Schwanz völlig bewegungslos. Plötzlich war ich zurück in Suffolk, als wären es dieselben Pferde. Ein anderer Frühling. Ein Kirchhof, die Grabsteine, die heute keinem mehr etwas sagen, mit Moos und Flechten bedeckt. Die freigelegten Knochen. Eine andere Kuhherde, dicht zusammengedrängt. Dünne Wolken, die sich der Sonne näherten. Das Schreien der Schädel, oder ihr schallendes Gelächter. Die Akkorde, die der Vikar an der Orgel anschlug ... nein, an diesem Tag war es nur ein Pferd gewesen, ein einzelnes Pferd, das erwartungsvoll den Kopf über den Zaun streckte ... der Geruch von Schweinen auf dem Wind. Auch ein Traktor.
    Wir hielten vor einem langen, einstöckigen Gebäude, stiegen aus und drückten auf die Klingel. Eine Nonne öffnete uns. Sie lächelte bereits, hätte jeden so begrüßt, der vor der Tür stand. Sie sagte nichts, brauchte nichts zu sagen, als wir ihr einen Gang entlang mit vorhanglosen Fenstern zu beiden Seiten folgten. Es war ein wunderbarer, zeitloser Ausblick: die Wiesen, eine Baumgruppe vor
einem Hügel, eine Ansammlung von Farmgebäuden, eine dünne Rauchsäule, ein paar geschäftige Vögel. Die Wolken rasten über die Sonne und zogen Schatten über das Gras, als würden sie das Sonnenlicht wegwischen. Der Teppichboden war ziemlich grell, mit roten und goldenen Blumen darin, und frisch verlegt. In einer Nische stand eine kleine elektrische Orgel mit einem aufgeschlagenen Kirchenliederbuch darauf. Gegenüber befand sich ein Bücherregal, das nichts enthielt außer ein paar hastig aufeinandergestapelten Brettspielen: Dame, Mensch ärgere dich nicht, Scrabble. Daneben stand eine Tischtennisplatte mit kaputtem Scharnier.
    Wir kamen in einen kreisförmigen Aufenthaltsraum, von dem ein weiterer Korridor wegführte. Verteilt im Raum standen grüne Sessel, von denen zwei auf der einen Seite von Frauen besetzt waren, die mit den Händen im Schoß ins Leere starrten. Sie schienen unsere Ankunft nicht zu bemerken. Ihre Haare waren auf dieselbe Länge gestutzt, und sie trugen

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