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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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Ripple«, sagte ihre Mutter.
    Aber sie schaute wieder in die Broschüre und blätterte weiter, bis sie zu einem Lied über den Frühling kam. Auch das sang sie nun mit dieser klaren, flüsternden Stimme, wieder völlig tonrein, soweit ich das beurteilen konnte. Die Frau, die uns begrüßt hatte, starrte Julia mit einem Ausdruck an, der mir hinter der Leere in ihren Augen wie Ungeduld, ja beinahe Zorn vorkam. Dann sah ich, daß sie mit den Fingern beider Hände den Rhythmus auf ihren Oberschenkeln mitklopfte. Die andere Frau hatte angefangen, mit beiden Händen zu dirigieren, und die Zunge hing ihr aus dem Mund, während sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. Obwohl sie sehr dicht beieinandersaßen, schienen sie sich gegenseitig gar nicht wahrzunehmen. Die Frau mit dem Malbuch konzentrierte
sich noch mehr, und ihre Nase berührte beinahe die Seite. Die Nonne tauchte wieder auf, und Julias Mutter nickte ihr zu.
    »Das ist wunderschön, meine Liebe«, sagte die Nonne. Sie hatte schon die Hand unter Julias Achsel, um ihr auf die Füße zu helfen. Nun lächelte sie nicht mehr. »Komm jetzt. Zeit für unseren kleinen Spaziergang. Die schöne Musik kannst du ja mitnehmen.«
    Sie führte Julia weg, die noch immer sang. Ihre Mutter eilte hinter ihnen her und schob die Nonne beiseite, um sie fest zu umarmen. Eine der Frauen fing an zu klatschen, und die andere winkte heftig und machte dabei ein gurgelndes Geräusch wie ein unterdrücktes Feixen.
    »Auf Wiedersehen, mein Liebling, mein Mädchen«, sagte die Mutter. »Ich komme bald wieder.«
    Aber Julia schien sie nicht zu hören, und sie sang noch immer, als die Tür zum Korridor hinter ihr zuschwang.
     
    Auf der Rückfahrt schien Mrs. Wetherell anfangs überhaupt nichts sagen zu wollen, deshalb fragte ich so neutral wie irgend möglich, wie die Chancen stünden, daß es Julia je wieder besserginge.
    »Eigentlich sind sie gleich null, aber die Medikation wird die ganze Zeit besser, und deshalb wird sie bald mehr Zeit mit mir verbringen können. Ich weiß, Sie werden denken, wir sollten doch in der Lage sein, eine bessere Einrichtung für sie zu finden, und natürlich versuche ich es weiter.«
    »Ich wollte nicht ... eine wunderschöne Umgebung.«
    »Ja, und sie hat ein schönes, geräumiges Zimmer. Und sie sind nett zu ihr. Sehr nett.«
    »Na ja, das ist doch wohl das mindeste.«
    »Ich weiß, es war nicht ganz richtig. Wissen Sie, sie wirkt so glücklich, wenn sie allein ist. Soweit man das sagen kann.«
    »Das trifft wohl auf die meisten Leute zu. Wie verbringt sie ihre Zeit? Liest sie?«
    »Nein, sie liest nicht. Sie hat das Radio und natürlich den Fernseher, die sie ziemlich wahllos an- und abschaltet. So, als würde
sie sich plötzlich einsam fühlen und ein wenig Gesellschaft wollen. Aber sie sieht oder hört nichts. Sie sind einfach nur da. Der Psychiater sagt, sie stoppen oder unterbrechen, was gerade in ihrem Hirn vorgeht. Die Stimmen. Vielleicht. Wer kann das wissen? Aber die sind nicht die Hauptsache.«
    Ich fragte, was denn die Hauptsache sei.
    Sie lachte auf, und ich sah, wie sie früher einmal gewesen war, als sie noch glücklich gewesen war — als ihre Tochter noch klein war, zum Beispiel, und reizende Sachen machte.
    »Sie haben es ja selber gesehen. Sie hat eine Sammlung von CDs, darunter die Hyperion-Serie der Schubert-Lieder. Die ist jetzt vollständig. Es sind insgesamt siebenunddreißig. Ich habe ihr jede neue besorgt, sobald sie herauskam. Sie hört sie und singt sie mit und kennt viele davon bereits auswendig. Eines Tages kennt sie wahrscheinlich alle sechshundertunddreißig auswendig, oder wie viele es sind.«
    »O Mann.«
    »Ja, aber wissen Sie, sie ist dann wirklich glücklich, wenn man auf einen Gesichtsausdruck was geben kann. Es ist eine ganz andere Welt. Alles ist irgendwo vorhanden. Jede Gefühlsnuance ... Alles. Bei den Texten bin ich mir nicht so sicher. Ohne die Musik wirken einige von ihnen recht künstlich, die Poesie dieser Zeit eben. Nicht unbedingt meine Sache. Die Texte, meine ich. Zumindest manchmal. Aber ohne sie würde es die Musik nicht geben, oder?«
    Mir fiel auf das alles nichts ein. Was für eine Geisteskrankheit ist das eigentlich, habe ich mich seitdem oft gefragt, die Zufriedenheit, Erfüllung auf so eine Art findet. Neben der Ameling habe ich vier der Hyperion-CDs, und ich habe die Kommentare in den Begleitbroschüren gelesen. Ausgehend von denen und natürlich der Musik scheint es mir recht offensichtlich,

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