Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
erstaunlich, wieviel sie darin zu tun finden, wieviel sie hineingepflanzt haben, als sollte er für die Taschenausgabe der Gardener’s Encyclopedia fotografiert werden. Sie winken und lächeln mir zu, scheinen aber kein Gespräch anfangen zu wollen. Vielleicht haben sie mir schon alles erzählt, was ich über sie wissen muß. Vielleicht haben sie, immer wenn ich vorbeigehe, in ihrem Anwesen gerade viel zuviel zu tun. Ich frage mich, ob der Obstbaum, den sie neben die Haustür gepflanzt haben, ein Pfirsichbaum ist.
Das elegant gekleidete Paar mit dem Volvo kommt immer noch früh am Morgen kauend und mit vollen Aktentaschen aus dem Haus. Sooft ich sie sehe, spricht einer oder sprechen beide in ein Handy und sehen dabei identisch beflissen und entschlossen aus. Vielleicht denken die Leute, mit denen sie reden, sie hätten Zahnschmerzen. Ich habe nur einmal mit ihnen gesprochen, um sie darauf hinzuweisen, daß einer der Reifen des Volvos platt aussehe. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, daß sie ihn selber wechselten. Sie schauten eher einander an als mich und atmeten langsam durch die Nase ein. Eben als sie etwas sagen wollten, hielt ein AA-Servicewagen. So viel zur Nachbarschaftlichkeit, dachte ich mir. Ich hoffe, sie werden so reich, wie sie es sich wünschen, bei der ganzen Zeit und Energie, die sie investieren. Ich hoffe, daß sie, wenn sie es dann sind, die Fähigkeit noch nicht verloren haben, sich zu entspannen und das Leben so zu genießen, wie es ist. Denn ansonsten müssen sie für alle Zeit immer reicher und reicher, immer entschlossener und entschlossener, immer beflissener und beflissener werden. Aus etwa zwanzig Meter Entfernung sah ich zu, wie der AA-Mann den Reifen wechselte. Sie schauten ihm ebenfalls zu, blickten aber auf ihre Uhren, sooft der Mann in ihre Richtung sah. Mein Eindruck war, daß sie davonfuhren,
ohne ihm zu danken. Es schien ihm nichts auszumachen, denn er wischte sich ungerührt die Hände ab, doch als er in meine Richtung schaute, machte er ein angewidertes Gesicht und spuckte in den Rinnstein.
Nachbarschaftlichkeit. Heute morgen ging ich an Rosies Haus vorbei. Ihr Bruder arbeitete im Vorgarten an einem Motorrad. Ich grüßte ihn, und er drehte mir sein verzerrtes Gesicht zu. Es hätte ein Lächeln sein können. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er sich um Rosie und ihre Kinder so kümmerte, wie er es offensichtlich tat. Ich war mir sicher, daß sie ihm nichts von dem Geld erzählt hatte, das ich ihr gegeben hatte, weil sie nicht wollte, daß es zu einem Gesprächsthema wurde. Dann kam Rosie den Gartenpfad entlang, um mich zu begrüßen. Ihre Unterlippe war aufgeplatzt und geschwollen. Vom Wangenknochen bis zum Auge breitete sich ein malvenfarbener Fleck aus, der deutlich zu sehen war, obwohl sie versucht hatte, ihn mit Puder zu überdecken. Beide Augen waren blutunterlaufen. Ein weiterer dunkler Fleck zeigte sich auf der einen Seite ihres Haaransatzes. Aber sie lächelte, oder sie schaffte es beinahe.
»Mein Gott, Rosie, was ist denn ...«
»Diesmal haben wir ihn, Professor. Fünf Jahre, wenn ich ein bißchen Glück habe.«
Ihr Bruder hinter ihr brüllte beinahe: »Dieses gottverdammte Arschgesicht. Wenn der wieder rauskommt, bin ich es, der einfährt. Da kannst du Gift drauf nehmen.«
Ich hatte ihn zuvor noch nicht reden hören. Trotz der derben Sprache war es eine tiefe, gelassene Stimme, die daran gewöhnt war, sich klar auszudrücken, und fast ohne Akzent. Sie drehte sich um. »Aber wer würde dann auf mich aufpassen, Johnny?«
Sie schaute wieder zu mir. »Mein kleiner Bruder, Professor. Er ist ganz wunderbar zu mir. Sie sollten ihn wirklich besser kennenlernen.«
Johnny stand auf und wischte sich die Hände an seinem Overall ab. Seine verkrüppelte Schulter wirkte noch krummer. Plötzlich zuckte ein halbes Lächeln über die eine Seite seiner Lippen, und
so wie dadurch die eine Hälfte seiner Zähne entblößt wurde, hätte man es bei jedem anderen für ein Fletschen gehalten.
»Rosie könnte nie auf sich selber aufpassen, nicht wahr, Rosie ?«
Mit einem hohen Winken ging er ins Haus.
»Ist er nicht ein wunderbarer Mann, Professor? Die Kinder lieben ihn abgöttisch.«
»Tut mir leid, Rosie. Ich meine, schauen Sie sich nur an.«
»Oh, dann wird also nichts aus unserem Rendezvous?«
»Ich fürchte, nein, Rosie. Was würden denn die Leute sagen? Schließlich muß ich auch an meinen Ruf denken.«
»Es braucht Ihnen nicht leid zu tun. Die andere hat er noch
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