Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
sie können ihre Pommes mit den Fingern essen und dabei durchs Haus wandern. Sie können schlampig reden und dabei Slang und Flüche verwenden, sie können sich kneifen und schlagen und müssen nicht bitte und danke sagen, sie können sich ganz allgemein wie die Allgemeinheit der Kinder aufführen, an die man einfach keine Erwartungen haben kann. Es ist alles sehr entspannt und angenehm. Das sollte es auch besser sein, denn die Kunst der Ermahnung muß ich erst noch erlernen und sollte sie dann vielleicht zuerst an mir ausprobieren.
»He, Bastler«, rief ich ihm zu. »Zeit für Mampfen und Glotzen?«
Er antwortete nicht. Normalerweise lungerte er nicht so herum, und ich dachte, er freute sich darauf, Kartoffeln zu kochen und zu
stampfen, nachdem er seiner Schwester beim Mittagessen gesagt hatte, daß der berühmteste Gehirnchirurg des Universums Kartoffelbrei nicht vom Inhalt ihres Schädels unterscheiden könne. Er freute sich auch auf das Fernsehprogramm des Abends, für das ich ihm lang aufzubleiben erlaubte, vor allem auf einen Film, wegen dem er einen Freudenschrei ausstieß, was seine Schwester dazu veranlaßte, ihn einen spatzenhirnigen Trottel zu nennen, wobei sie vergaß oder auch nicht vergaß, daß auch ich mich auf diesen Film freute. Beim Mittagessen, nach einem Vormittag, den er mit einem Schulprojekt zugebracht hatte, beim dem es irgendwie über Abfallentsorgung ging, hatte er es eilig, in Webbs Werkstatt zu kommen, wo er inzwischen an einem Stuhl »mit Armlehnen« baute. Ich wechselte also weiter die Sicherung zu einem Geräusch, das ich als das Klopfen der Säge auf dem Fensterbrett interpretierte. Dann schaute ich noch einmal zu ihm hinüber. Er stand jetzt nicht mehr im Schatten, und sein Gesicht hatte eine irgendwie käsige Tönung.
»Irgendwas los?« fragte ich. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Alles okay.«
Ich stieg von dem Stuhl, auf dem ich gestanden hatte, und ging zu ihm. »Solltest du nicht besser mit den Kartoffeln anfangen?«
Irgend etwas stimmte eindeutig nicht. Das war offensichtlich. Ich hoffte, er habe sich nur erkältet oder brüte irgend etwas aus, das nicht tödlich oder schmerzhaft war. Denn nach dem zweiten Blick auf sein Gesicht merkte ich, daß ihn etwas sehr schockiert hatte und daß es etwas mit Webb zu tun hatte. Vielleicht hatte er sich mit dem Hammer auf den Daumen geschlagen oder sein Stuhl wackelte, aber nach seinem dritten Blick auf mich, mit dem er etwas suchte, das er dort nicht fand, wußte ich, daß es auch nicht in diese Kategorie gehörte. Ich hätte ihm den Arm um die Schulter legen, ihn ins Wohnzimmer führen und mich dort mit ihm auf die Couch setzen sollen, aber ich wiederholte einfach meine Frage mit der Intonation eines »Jetzt komm mal wieder runter«.
»Irgendwas ist doch los, oder?«
»Alles okay, Dad. Wirklich.«
Er drückte sich an mir vorbei und trug einige Kartoffeln vom Gemüsekorb zur Spüle. Ich hätte es dabei belassen, glaube ich, ich bin mir nicht sicher, wenn ich nicht gesehen hätte, daß die Hand, die nach dem Messer in der Schublade unter dem Becken griff, zitterte. Die Aussicht, daß er mit unsicherer Hand Kartoffeln schälte und sie womöglich mit Blut bekleckerte, gefiel mir ganz und gar nicht. Nein, ich werde mir hier selber nicht gerecht (wie soll ich plädieren?). Ich hatte Angst.
»Du erzählst es mir besser«, sagte ich. »Und das, Soldat Ripple, ist ein Befehl.«
Er stand mit dem Rücken zu mir, und plötzlich hörte zuerst das Tasten, dann jede Bewegung auf.
»Versprich, daß du es Mum nicht erzählst.«
»Das kann ich nicht versprechen.«
»Ich will nicht, daß Mum es erfährt.«
»Na gut. Hand aufs Herz. Die Spannung bringt mich um.« (Warum rede ich mit meinen Kindern so oft in Klischees, häufig auch noch mit einem amerikanischen Akzent?)
»Es geht um Mr. Webb.«
Scheiße. Scheiße. Scheiße. Jetzt mußte ich es mir anhören. »Was ist mit Mr. Webb?«
Seine Stimme schwankte und wurde zu einem Flüstern. »Er, also, er hat mir diese Fotos in einem kleinen Buch gezeigt, und dann hat er versucht, mich anzufassen, du weißt schon, und dann wollte er wissen, ob ich schon mal, na ja, einen Steifen hatte ... und dann hat er mir das gegeben.«
Er öffnete die Hand und zeigte mir einen zerknüllten Fünf-Pfund-Schein, den er dann wieder tief in seine Hosentasche steckte.
»O Gott«, war alles, was ich anfangs herausbrachte, und dann schaffte ich gerade noch: »Um Himmels willen, egal, was du tust, sag deiner
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