Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
hinterlassen werde, und daß der Tag immer näher rückt, an dem diese Ausgabe sich nicht mehr rentiert. Ich werde weiter in Plasketts Wertschätzung wachsen, während bei mir selber immer weniger
wächst. Wenn ich dann gar keinen mehr hochbringe, bin ich vielleicht Präsident mit viel Macht in den Händen und völlig ohne woanders.
Gestern — ein stiller, einsamer, absolut sexloser Sonntagnachmittag — schien es mir wichtig, das alles aus dem Weg zu schaffen, die Schmuddeligkeit, Gewöhnlichkeit des Ganzen herauszustellen. Um nun weiterzumachen, wo ich zuvor abgebrochen habe. Eines Abends kam ich nach Hause und erfuhr, daß Mrs. Hamble tot war. Die Beerdigung sollte in der folgenden Woche stattfinden, in der ich nach Montreal mußte. Sie war am vergangenen Morgen friedlich im Schlaf gestorben. Virginia hatte geweint und saß benommen, blaß und mit roten Augen, am Sofarand. Als ich eintrat, drehte sie sich weg, als hätte ich irgendein schreckliches Verbrechen begangen. Mein Sohn, der ebenfalls nicht aufstand, saß auf dem Boden und schob ein Spielzeugmotorrad vor den Knien hin und her.
»Die arme, alte Mrs. Hamble ist gestorben«, sagte meine Frau.
»O Gott, das tut mir sehr leid«, sagte ich.
Worauf Virginia, zum ersten Mal überhaupt, in Tränen ausbrach, ohne aus dem Zimmer zu stürzen. Es gibt für alles ein erstes Mal, auch für den Tod. Ich setzte mich neben sie aufs Sofa und wollte den Arm um sie legen, aber meine Frau schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn, so daß sich die Haut zwischen den Augen, wo sie inzwischen richtige Falten hatte, in Furchen legte. Im Alter, dachte ich mit meinem gewohnten, der Situation angemessenen Taktgefühl, wird sie aussehen, als hätte sie permanent schlechte Laune. Ich wußte nicht, was ich meiner Tochter sagen sollte, außer daß sie Mrs. Hamble in ihren letzten Tagen viel Freude bereitet habe. Übers Weiterleben nach dem Tode, über Wiederbegegnungen im Paradies konnte ich nicht sprechen, weil meine Frau noch anwesend war, die den ganzen »mythischen Quatsch« aus den Köpfen meiner Kinder vertrieben hatte.
»Sie ist friedlich eingeschlafen«, fuhr meine Frau fort. »Mr. Hamble meinte, sie habe glücklich gewirkt, als er sie das letzte Mal sah, ›nicht mehr ganz da‹, wie er es formulierte. Sie hatte die
ganze Zeit über unser Picknick im Park geredet, wo sie ein kleines Stück des Himmels gesehen habe, wie sie sagte.«
Ich stand auf. »Was wird jetzt aus ihm? Er ist so ein anständiger, alter Bursche.«
»Da gibt’s irgendwo einen Bruder«, erwiderte meine Frau. »Ich war drüben, um ihre Sachen einzupacken. Kleidung und Krimskrams. Er hat mich darum gebeten. Vielleicht kriege ich ja ein bißchen was für die Sachen.«
Sie war offensichtlich ein Turm der Stärke gewesen. In ihrer Arbeit war sie mit vielen ähnlichen Situationen konfrontiert.
Als sie das Zimmer verließ, sagte ich Virginia, sie werde Mr. Hamble keine große Hilfe sein, wenn sie so weitermache. Ihr Kummer, sagte ich, oder etwas in der Richtung, werde den seinen nur schlimmer machen.
Sie nickte. »Ich weiß nicht, was ich zu ihm sagen soll.«
»Er will nicht, daß du irgendwas sagst. Er weiß ja selber nicht, was er sagen soll.« Ich trank einen Schluck Sherry und zündete mir einen Stumpen an. Und fühlte mich schuldig. »Ich bin sicher, daß er lieber allein sein will.«
»Bitte schau mal zu ihm hinüber«, sagte sie schließlich. »Mum hat es getan. Ich wette, sie hat gewußt, was sie sagen soll.«
»Ja«, sagte ich und stand auf. Als ich mich auf den Weg machte, starrte sie mich mit Augen an, die schon wieder in Tränen schwammen.
Ich fand ihn in der Küche, und er lud mich ins Wohnzimmer ein. Es sah aus, als läge bereits eine dicke Staubschicht auf den fadenscheinigen Polstermöbeln und dem ausgebleichten, hellbraunen Teppich. Ein wenig Zierat lag zusammengeworfen auf einer Plane vor dem Elektrofeuer. Er deutete darauf und sagte: »Das werde ich alles im Garten vergraben. Ich werde ein richtig großes Loch schaufeln.«
»Können wir irgendwas für Sie tun?« fragte ich. »Sie brauchen es nur zu sagen.«
»Als erstes«, flüsterte er, »könnten Sie sie mir zurückbringen, könnten Sie sie ins Leben zurückbringen.«
»Es tut mir ja so leid«, sagte ich.
»O Gott!« murmelte er. »Als würde ich Sie für Jesus Christus oder sonstwas halten.«
Er kniete sich vor den Zierat, hob ein Stück nach dem anderen auf und betastete es. Sein breiter Rücken fing an zu zucken,
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