Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
aber seine leise Stimme blieb fest. »Ich weiß noch ganz genau, wann und wo wir jedes verdammte Stück gekauft haben.«
Er hielt eine schlichte hölzerne Uhr hoch und betrachtete das Blatt, als wären ihm die Ziffern ein völliges Rätsel. »Die ist genau im Augenblick ihres Todes stehengeblieben.«
Er hob sie hoch über den Kopf und ließ sie auf das Kamingitter krachen. Dann hielt er sie sich ans Ohr. »Jetzt geht sie wieder, aber sie wird nie mehr die Zeit anzeigen.«
Das Glas war zersplittert, und er zerrte an den Zeigern, bis sie sich bogen und abbrachen.
»Die hat sie mir zu meinem halben Jahrhundert gekauft. Sie ging auf die Sekunde genau. Eine wunderschöne Uhr. Mußte sie nur einmal pro Woche aufziehen. Immer Sonntagmorgen habe ich sie aufgezogen, bevor ich ihr den Tee ans Bett brachte. Ich werde sie weiter aufziehen, aber jetzt zeigt sie keine Zeit mehr. Nur die im Kreis angeordneten Ziffern, von Mitternacht bis Mitternacht.«
»Kommen Sie doch rüber und essen Sie mit uns«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf und stand auf, eine gelbe Porzellanvase von der Größe eines Eierbechers in der einen, einen kleinen Messinggong in der anderen Hand.
»Sie waren doch schon viel zu freundlich zu mir. Ich will Ihnen nicht zur Last fallen.«
»Tun Sie einfach, wonach Ihnen ist.«
»Ihre Kleine würde mich nur anstarren. Ich konnte es noch nie ertragen, angestarrt zu werden.«
»Sie ist völlig verzweifelt, unsere Virginia.«
»Sie ist ein braves Mädchen, damit Sie mich nicht falsch verstehen.« Er ging zum Fenster. »Sie war eine gute Frau. Und nach all den Jahren, die ich sie hatte, darf ich mich nicht beklagen.«
»Das konnte jeder sehen.«
»Eben nicht. Sie war eine ganz gewöhnliche Frau. Da braucht man nicht lange drum herumzureden. Sie war mir vertraut. Ich habe sie nie geliebt, nicht auf diese tiefe Art. Ich hätte sie lieben sollen, wie sie mich geliebt hat. Wir haben es lange miteinander gemacht, so ist es nicht. Sie dachte, daß bei mir die Sonne aus dem Hintern scheint. Weiß auch nicht, warum. Hab kaum was für sie getan, außer sie ab und zu aufzuheitern. Wir hatten unsere guten Zeiten, viel davon, wie das Picknick im Park. Sie hat nie aufgehört, darüber zu reden. Sie hat gesagt, daß sie eine sehr glückliche Frau ist. Sie würde nicht wollen, daß ich jetzt in Trauer versinke oder sonstwas. Sie würde wollen, daß ich ein normales Leben führe. So hat sie uns immer genannt, normal. Sie würde wollen, daß ich den Garten und alles in Schuß halte. Sie würde nicht wollen, daß ich irgendwas im Garten vergrabe oder kaputtschlage. Ich hätte diese Uhr nicht zertrümmern dürfen. Das ist das verdammt Blödeste, was ich in meinem ganzen Leben getan habe.«
Er drehte mir noch immer den Rücken zu, und so wußte ich nicht, ob er von mir eine Antwort erwartete.
»Wie gesagt, alles, zu jeder Zeit. Das ist wirklich ernst gemeint, das müssen Sie glauben. Ich soll es Ihnen von der ganzen Familie ausrichten.«
Er hörte nicht zu. »Ich werde versuchen, das Haus so in Ordnung zu halten, daß es ihr gefallen würde. Und den Garten werde ich auch nicht verkommen lassen.«
»Sie müssen nur was sagen.«
Nun drehte er sich um. Sein Gesicht glänzte vor Tränen. Er schniefte und leckte sich ein wenig Feuchtigkeit vom Mund. Ich wandte schnell den Blick ab.
»Ich muß ja ein schöner Anblick sein. Bevor ich mich nicht wieder gefangen und gewaschen habe, schaue ich in keinen Spiegel.« Er wischte sich mit dem Hemdsärmel über Augen und Wangen. »Sie sollten jetzt besser gehen. Mein Gebrabbel brauchen Sie sich wirklich nicht länger anzuhören. Für jeden kommt mal die Zeit. Für Sie auch. Und Sie haben viel mehr zu verlieren als ich. Und es könnte Ihnen wirklich passieren. Ihre Kinder könnten bei einem Autounfall ums Leben kommen. Viele andere trifft es viel schlimmer
als mich. Es wäre für sie viel schlimmer gewesen, wenn ich zuerst gegangen wäre. Hätte sie wahrscheinlich umgebracht. Ich rede zuviel, hat sie immer gesagt, aber es hat ihr gefallen. Ich habe ja mit ihr geredet, wissen Sie. Gab sonst niemanden, mit dem ich hätte reden können. Es hätte ihr aber auch gefallen, wenn ich nie auch nur ein verdammtes Wort ...«
Er drehte sich wieder um, die Stimme versagte ihm, und er fing an zu schluchzen. Ich hob die Hand, um sie ihm auf die Schulter zu legen, dachte aber dann, es wäre ihm lieber, wenn ich ihn in Ruhe ließe.
Beim Abendessen sagte ich, Hamble brauche Gesellschaft, aber nicht
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