Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
zu viel, daß man ihn hin und wieder besuchen, aber kein großes Aufheben um ihn machen solle. Meine Frau sagte nichts, aber sie nickte auch nicht. Virginia war blaß und nachdenklich, überlegte sich offensichtlich, was sie für ihn tun konnte. In dem Augenblick war ich stolz auf sie, als jemand, der in die Fußstapfen seiner Mutter treten und seinen Nächsten lieben würde. Ich sah, daß auch meine Frau sie voller Stolz anschaute. Ich sah meine Tochter als Nonne vor mir, die von Kannibalen gefangengenommen wurde. Meine Frau sah sie als junge Frau mit einem sich entwickelnden Gewissen.
Später sprach meine Frau dann über die unterschiedlichen Reaktionen auf einen solchen Verlust. Einige Leute, sagte sie, würden völlig zusammenbrechen. Andere würden zu sich selber finden, selbständig werden und neue Interessen entdecken. Und wieder andere würden vor aller Augen dahinsiechen. Solche Sachen eben. Ich fragte mich, wie es wohl sein würde, wenn einer von uns starb. Meine Frau würde mit sich selber zu Rate gehen, wie sie es jetzt schon tut. Sie würde mit Sicherheit nicht in die Kategorie jener fallen, die völlig zusammenbrechen oder dahinsiechen. Und ich? Gott steh mir bei, ich war mir nicht sicher, aber ziemlich überzeugt davon, daß ich nicht hingehen und Uhren zerdeppern würde. Vielleicht würde ich kochen lernen, und ich würde meinen Garten in Ordnung halten. Ich hatte so meine Zweifel, ob ich viel weinen würde. Auf jeden Fall würde ich nicht die Webbs wegen Einkäufen und anderen Kleinigkeiten belästigen. Das dachte
ich damals, aber nachdem ich aus meinem gegenwärtigen Leben in die Vergangenheit zurückgekehrt bin und jetzt wieder in die Gegenwart eintauche und mir noch einmal diese Sachen über Golfclubs und Frauen in Hotelzimmern durchlese, habe ich ganz andere Sorgen als eine imaginäre Trauer. Ich frage mich, wie es wohl wäre, wenn Mr. Hamble heute Witwer werden würde, ob ich ihm die Hand auf die Schulter legen würde, jetzt, da ich selber allein bin. Wahrscheinlich nicht. Aber vielleicht hätte ich auf der Schwelle länger gezögert.
KAPITEL ZWÖLF
J etzt, da der Winter zu Ende geht, sehe ich Hamble im Garten werkeln, und aus der Entfernung wirkt er wie ein zufriedener Mann. Manchmal gehe ich zu ihm und unterhalte mich mit ihm, vor allem, da ich ja jetzt keine Familie mehr um mich habe. Es gibt sonst niemanden, mit dem ich reden könnte. Vor dem Haus der Webbs steht schon wieder ein ZU VERKAUFEN-Schild. Vor meinem wird demnächst auch eins stehen. Ich zeige potentiellen Käufern des Webb-Hauses ein hinterlistig anzügliches Grinsen, wenn sie zufällig in meine Richtung schauen und sich fragen, wie die Nachbarschaft wohl ist. Ich will nicht, daß sie mich für so umgänglich halten, wie sie sich selber einschätzen. Am besten ist es, man bereitet sie aufs Leben vor. Bei offenem Fenster drehe ich den Fernseher auf oder lasse ein schleimiges, bronchitisches Husten hören, was nicht ausschließlich gespielt ist, sondern die Tagesversion des Hustens, der mich nachts manchmal wach hält, eine Folge der zu vielen Stumpen, die ich rauche. Oder ich starre sie mit weit aufgerissenen Augen an und kratze mich im Schritt, was gut zu dem Husten paßt, und dann wende ich mich mit einem höhnischen Schnauben um und gackere in mich hinein.
Hamble ist sowohl röter im Gesicht geworden als auch fetter. Ein Glühen scheint von ihm auszugehen. Er ächzt, wenn er im Garten arbeitet, bückt sich und richtet sich wieder auf, stößt die Gabel in die dunkle, fette Erde. Er ist ein Ein-Mann-Kloster des Ordens, der wenig spricht und sich der kleinteiligen Agrarwirtschaft verschrieben hat. Wenn ich über den Zaun mit ihm rede, bewundere ich den Zustand seines Gartens und interessiere mich
für die Pläne, die er damit hat. Meinen Garten erwähnen wir gar nicht, denn der ist inzwischen vernachlässigt, und für ihn kann es keine Pläne mehr geben. Ich wundere mich, daß ein so großer, kräftiger Mann so unauffällig sein kann, daß jemand, der so einsam ist, kein Mitleid weckt. Er erledigt eine Arbeit, sticht etwa die Rasenkanten am Rand eines Blumenbeets ab oder harkt die Erde um einen frisch gepflanzten Strauch, und schaut sich sein Werk dann mit tiefer Befriedigung an, wischt sich den Schweiß von der Stirn, als wäre er jetzt endlich bereit, sein Werkzeug aus der Hand zu legen und zu sterben. Ich verstehe, was er meint. Jede Ordnung ist ein Abschluß. Man geht leichter weg, wenn man alles ordentlich
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