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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Schlueter
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Doch auch diese Bedingungslosigkeit hat ihre Grenzen. Ebenso braucht die reinste partnerschaftliche Liebe ein breiteres Fundament als nur die Gesinnung. Das heißt nicht, dass – umgekehrtes Extrem – die Liebe eine Kosten-Nutzen-Rechnung sein darf, bei der jeder schaut, dass er nicht zu kurz kommt. Aber die Liebe benötigt doch wirklich Erlebtes, konkrete Erfahrungen. Und die speisen sich nun mal aus Taten, nicht allein aus der bloßen Gesinnung. Nur wer auch faktisch gut miteinander umgeht (weil er will, nicht weil er muss), der kann ein Fundament legen, auf dem sich die Gesinnung dauerhaft hält.
    Oder etwa nicht? Abaelards eigenes Verhalten ist das beste Beispiel dafür, dass die reine Gesinnung letztlich nicht gegen die Macht des Faktischen – der Umstände wie des individuellen Egoismus – ankommt. Wie er mit seiner Geliebten umging, steht mit seinen Theorien wenig in Einklang, um es vorsichtig zu formulieren. Héloïse freilich kam in ihrem Handeln dem Ideal schon sehr nahe. Ihr ging es ganz uneigennützig um die Ungestörtheit, mit der Abaelard Wissenschaft betreiben sollte. Sie wollte diesen genialen Mann nicht für sich allein haben. »Wie könnte sie es vor der Welt verantworten, wenn sie ihr eine solche Leuchte entzöge«, gibt Abaelard einen der Einwände wieder, die seine Geliebte in jenen dramatischen Tagen gegen die geplante Ehe vorgebracht hatte. Dass es anders kam, dass Héloïse ihren Mann scheinbar doch haben durfte und kurz darauf umso grausamer wieder hergeben musste, ist tragisch. Doch glaubt man den Quellen, fiel es ihr selbst dann noch nicht ein, dass er an alldem mindestens mitschuldig sein könne. Erst nach Abaelards Tod beanspruchte Héloïse etwas für sich: den Leichnam ihres Geliebten und damit die Aussicht, in Ewigkeit neben ihm zu liegen. Auf dem »Père Lachaise« in Paris hat sich diese Hoffnung erfüllt.

Das Glücksrezept des »Doctor angelicus«
    S eine große Liebe galt einer ganz besonderen Vereinigung: Thomas von Aquin, Sprössling einer mittelitalienischen Adelsfamilie, wollte die Vernunft, also das Wissen von der Welt, und den christlichen Glauben miteinander versöhnen. Das war zu seiner Zeit, im 13. Jahrhundert, nicht ganz so schwierig wie heute. Aber leicht war es auch nicht.
    Zum Glück stellte Thomas selbst kein Leichtgewicht dar. Schon rein körperlich nicht – der Überlieferung zufolge musste man für ihn eine Rundung in die Tischplatte sägen, damit er an seinem Pult Platz fand. Geistig konnte er es ohnehin mit allen aufnehmen. Das fiel aber nicht so schnell auf, denn der »Doctor angelicus«, der »engelgleiche Gelehrte«, wie er wegen seiner Freundlichkeit auch genannt wurde, neigte zu äußerster Bescheidenheit. Was andere von ihm dachten, war ihm schlicht egal, zum Beispiel die Tatsache, dass ihn seine Mitstudenten wenig schmeichelhaft einen »stummen Ochsen« nannten. Nur wenn er daran gehindert wurde, seinen selbst gewählten Weg zu gehen, konnte Thomas ungemütlich werden. So etwa, als ihn seine Brüder entführten und in den familieneigenen Schlossturm sperrten, weil er in den neu gegründeten Bettelorden der Dominikaner eingetreten war, statt eine standesgemäßere Karriere anzustreben. Um seinen Willen zu brechen, schickte die ehrbare Familie eine Kurtisane in Thomas’ Turmverlies. Doch der junge Mönch blieb standhaft und empfing die Versuchung mit einem brennenden Kaminscheit in der Hand. Die Frau floh – und bald darauf tat Thomas es ihr mit Hilfe einiger verkleideter Ordensbrüder gleich, angeblich ein geöffnetes Fenster nutzend. Ganz unsportlich scheint er also nicht gewesen zu sein. Das sollte ihm später zugutekommen, denn als Dominikanermönch musste er alle seine Reisen zu Fuß bewältigen. Mehrfach ist er von Italien nach Paris gezogen, einem der Orte, an denen er lehrte.
    Auch Papier war knapp bei den Dominikanern, und so konnte Thomas seine Gedanken oftmals nur auf Zettelchen notieren. Gleichwohl hat er ein gewaltiges Werk hinterlassen, die Krönung mittelalterlichen Denkens, und das bedeutet immer: des christlichen Philosophierens. In seinen Schriften, etwa der »Summa theologica«, finden sich auch bedenkenswerte Äußerungen über die Liebe. Um sie zu verstehen, muss man wissen, dass Thomas sehr stark von Aristoteles beeinflusst ist. Jahrhundertelang war die Lehre des Griechen im lateinischen Raum nur wenig bekannt gewesen. Doch vermittelt durch arabische Philosophen, erlebte sie nun ein Comeback – gerade rechtzeitig, damit

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