Ein unbeschreibliches Gefuehl
den Erfordernissen von Gesprächen und gegenseitiger Verständigung zu entsprechen, womit dieses heilige Band [die Freundschaft] gestärkt wird; auch scheinen ihre Seelen nicht fest genug zu sein, um den Druck eines so festen und dauerhaften Knotens auszuhalten.« Nun ja, es waren damals andere Zeiten … Als Montaigne gegen Ende seines Lebens die 32 Jahre jüngere, hochbegabte Marie de Gournay kennenlernte, die dem gängigen Frauenbild in keiner Weise entsprach, reagierte er denn auch auf eigene Weise: Er erklärte die schöne Philosophin und frühe Frauenrechtlerin kurzerhand zur »fille d’alliance« – zur Wahltochter. Und bei seinem Tod bestimmte er sie zur Nachlassverwalterin.
Marie de Gournay hat nie geheiratet. Zeitlebens forderte sie, die selbst Autodidaktin war, für die Frauen mehr Bildung: »Frauen sind das Geschlecht, dem man alle Güter versagt …, um ihm als einziges Glück und ausschließliche Tugend die Unwissenheit, den Anschein der Dummheit und das Dienen zu bestimmen.« Die Philosophin schwieg auch dann nicht, als ganz Europa dem Hexenwahn verfiel und überall die Scheiterhaufen brannten. Der von ihr verehrte Montaigne hingegen, der mit der berühmt gewordenen Formel »Que sais-je?« (»Was weiß ich?«) den neuzeitlichen Skeptizismus einleitete, hat mit seiner fest gefügten Meinung über die Frauen deren Schicksal zumindest nicht wenden geholfen.
Aber von seinem patriarchalischen Denken einmal abgesehen: Die Mischung aus Humor, Klar- und Nachsicht, mit der Montaigne den Menschen in seinem Liebesverhalten beschreibt, hat schon etwas. Da fehlt jedes Pathos, jeder Anspruch, und das bedeutet auch eine Entlastung: Wer in Liebesdingen erst einmal Montaignes Haltung übernommen hat, der kann illusionslos und folglich sehr gelassen an die Sache herangehen. Montaignes Lieben finden nicht im Himmel statt, sondern ganz klar auf Erden. Der Preis ist die Einsicht in die Vergänglichkeit der Liebe, auf die der Franzose ganz klar hinweist. Er warnt auch vor der irrigen Hoffnung, mit der »gemäßigten Wärme« der Freundschaft dem verlöschenden Liebesfeuer wieder Kraft geben zu wollen. Das gehe schon deshalb nicht, weil die Ehe, anders als die Freundschaft, nur zu Beginn auf freier Wahl gegründet sei, ihr Fortbestand jedoch erzwungen werde.
Vielleicht liegt aber gerade darin ein Schlüssel für heutige Liebende: Indem sie das Bewusstsein für die Freiwilligkeit ihrer Wahl wachhalten, können sie vielleicht auch das Feuer ihrer Liebe doch immer wieder neu entzünden. Montaigne würde bei solchen Überlegungen vermutlich ironisch eine Augenbraue heben. Aber wir könnten ihm entgegenhalten, dass er selbst ja den Zweifel, die Skepsis, zum Prinzip des Denkens erhoben habe und dies nun auch gegenüber seinen eigenen Aussagen zulassen müsse. Und schließlich könnten wir ihn darauf hinweisen, dass auch in seinem Leben die Realität schon einmal die Theorie widerlegt habe: in Gestalt der Marie de Gournay …
Es lohnt sich, von Frankreich einen Abstecher nach England zu machen. Dort tritt uns, eine Generation nach Montaigne, die Desillusionierung noch um einige Grad kühler entgegen als bei dem Franzosen: nämlich bei Francis Bacon, Baron von Verulam, Viscount of St. Albans. Verschwörungstheoretiker halten ihn für einen heimlichen Sohn von Elizabeth I., und im 19. Jahrhundert sah man in Bacon den Autor oder zumindest Mitautor von Shakespeares Dramen. Der Jurist, Politiker und Philosoph war nicht zimperlich, wenn es um die Durchsetzung eigener Interessen ging, sei es unter Elizabeth I. oder unter ihrem Nachfolger Jakob I. Die Ausrichtung auf die Nützlichkeit machte er konsequenterweise auch zum philosophischen Prinzip.
Wie Montaigne setzte Bacon auf die Erfahrung. Er war allerdings optimistischer als jener, was deren Verwertbarkeit betraf. Die sinnlichen Wahrnehmungen, so forderte er, müssten systematisch geordnet und auf innewohnende Gesetzmäßigkeiten hin untersucht werden. Mittels gezielt durchgeführter Experimente könne der Mensch sich Wissen und damit Macht über die Natur aneignen. Bacon selbst hat freilich nur ein einziges wirkliches Experiment durchgeführt: Bei eisigen Temperaturen probierte er aus, ob sich geschlachtete Hühnchen länger halten, wenn man sie mit Schnee ausstopft. Der Versuch endete mit einer Lungenentzündung, an der der Brite schließlich starb.
Kühl tritt uns Bacon auch in seinen Aussagen über die Liebe entgegen. »Ohne Zweifel sind die besten und für das
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