Ein unbeschreibliches Gefuehl
alle Paare gelten könnte. Denn wer liebt, der vertraut sich dem anderen an, er öffnet sich ihm und macht sich auf diese Weise verletzbar. Er ist darauf angewiesen, dass sein Vertrauen nicht enttäuscht wird, dass – in guten wie in schlechten Tagen – fair mit ihm umgegangen wird.
Gegensätze ziehen sich an
W enn ein Mann versucht, einer Angebeteten einen Rivalen madig zu machen, sollte er vorsichtig in der Wortwahl sein. Der Schriftsteller Friedrich Schlegel, der Ende des 18. Jahrhunderts zu seiner geliebten Schwägerin Caroline Böhmer-Schlegel über den Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling sprach, weckte jedenfalls eher Carolines Neugier, als er besagten Schelling folgendermaßen charakterisierte: »Dieser Mann ist eine Urnatur, die Mauern durchbrechen kann. Er ist regelrechter Granit.« Carolines Antwort ließ tief blicken: »Aber wo nur kann ein Granit eine Granitin finden?« Wenig später war sie selbst diese »Granitin«.
Zwei Granite, zwei Felsen, in Leidenschaft miteinander verbunden – das ist ein merkwürdiges Bild. Aber es passt zu der Liebesbeziehung, die einen Skandal (nicht den ersten) um Caroline auslöste und das Scheitern der frühromantischen Jenaer Wohngemeinschaft besiegelte, deren Mittelpunkt diese selbstbewusste, freiheitlich denkende Frau gewesen war. Die Göttinger Gelehrtentochter Caroline Schlegel, geborene Michaelis, hatte zu dem Zeitpunkt bereits zwei Ehen hinter sich: Die erste, mit dem Clausthaler Arzt Johann Böhmer, endete durch dessen frühen Tod. Die zweite, mit Friedrich Schlegels Bruder August Wilhelm, lag in den letzten Zügen, als Schelling die Bühne betrat. Sie war zustande gekommen, nachdem Caroline in den Mainzer Ausläufern der Französischen Revolution als demokratisch denkende und unkonventionell lebende Frau verhaftet worden war. Schlegel hatte ihr aus der Haft herausgeholfen und sie 1796 geheiratet. In Jena lebte das Paar zeitweise mit Friedrich Schlegel und dessen Freundin Dorothea Veit, einer Tochter des Aufklärers Moses Mendelssohn, in einer Wohn- und Arbeitsgemeinschaft zusammen – das war die berühmte WG der Frühromantik!
Doch ab 1798 knirschte es in dem komplizierten Beziehungsgeflecht: Caroline verliebte sich in den zwölf Jahre jüngeren Schelling, der als Professor nach Jena gekommen und eigentlich als Heiratskandidat für ihre Tochter Auguste aus erster Ehe vorgesehen war. Ehemann August Wilhelm, seinerseits auch nicht treu, tolerierte die Beziehung zunächst. Doch sein Bruder Friedrich war ja ebenfalls erfolglos in die Schwägerin verliebt, er hatte sie in seinem berühmten Roman »Lucinde« (1799) sogar noch porträtiert. Wohl auch unter dem Einfluss seiner Lebensgefährtin Dorothea begann er Caroline nun kritischer zu sehen. Die WG löste sich auf.
Im Jahr 1800 reiste Caroline mit Schelling und ihrer Tochter Auguste nach Süddeutschland. Unterwegs starb Auguste an der Ruhr – ein schwerer Schlag für Caroline. Fortan lebte sie mehr oder weniger offiziell mit Schelling zusammen. Gleich nach der Scheidung von Schlegel 1803 heirateten die beiden. Sie gingen nach Würzburg, später nach München. Schon 1809 starb Caroline Schelling ebenfalls an der Ruhr. Die Liebesgemeinschaft der beiden »Granite« war zu Ende. 1812 heiratete Schelling erneut. Seine zweite Frau Pauline Gotter war die Tochter einer Jugendfreundin Carolines. Sie schenkte ihm sechs Kinder.
In dem Jahr, in dem Caroline starb, brachte Schelling seine Schrift »Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände« heraus. In dem Werk, das einen Wendepunkt in seinem Denken markiert, machte er auch die Liebe zum Thema. Um seine Gedanken zu verstehen, müssen wir uns an Kant und dessen kritische Philosophie erinnern. Kant hatte eine strenge Grenze gezogen zwischen dem, was unserem Erkenntnisvermögen zugänglich ist, und den Bereichen, die wir nicht erkennen können. In jene Bereiche fallen die Dinge, wie sie »an sich« sind, also losgelöst von unserer Wahrnehmung. Aber auch Themen wie Gott (als Ziel philosophischer Erkenntnis) oder der Anfang und das Innerste der Welt sind Beispiele für das, was nach Kant der menschlichen Erkenntnis nicht zugänglich ist.
Die Philosophengeneration nach Kant versuchte nun, die von ihm gezogene Grenze niederzureißen. Sie nahm an, dass es eine ursprüngliche Einheit geben müsse, in der das erkennende Ichbewusstsein und die ganze Welt, inklusive der von Kant
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