Ein unbeschreibliches Gefuehl
ausgeschlossenen Erkenntnisziele, zusammenfallen. Folglich müssten besagte Ziele für den menschlichen Geist letztlich eben doch erreichbar sein. Zu dieser Generation des sogenannten deutschen Idealismus gehörte Schelling. Er nahm dabei Anleihe bei Spinoza und dessen einziger Substanz. Wie der jüdische Denker knapp eineinhalb Jahrhunderte zuvor sagte nun auch Schelling: Denken und Welt sind in Wirklichkeit dasselbe – nämlich eine einzige, ewige Substanz, die auch das Absolute genannt wird. »Alles, was ist, ist eins.« Das Geistige und die Natur unterscheiden sich zwar im Verlauf der Evolution voneinander, im Prinzip aber sind sie eins: Der Geist ist schlummernd in der Natur vorhanden. Er entwickelt sich im Verlauf der Evolution, und im menschlichen Denken erkennt er sich dann selbst wieder.
Dieses Eine, Absolute, in dem uranfänglich alles zusammenfällt, identifiziert Schelling mit Gott. Ja, er geht noch weiter, er sagt: In diesem uranfänglich Einen liegt wieder zweierlei – nämlich erstens das, was existiert und mit eigenem Willen nach eigenem Dasein strebt, und zweitens das, woraus es hervorgeht, der »Grund«. Die noch tiefer liegende Einheit aber, in der beide, das Existierende und der Grund, zusammenfallen, nennt Schelling den »Ungrund«. Und ebenhier, im Allertiefsten, Allerersten, Allerursprünglichsten, wo die Dualität schon angelegt ist und woraus sie dann hervorgeht, siedelt er die Liebe an: »Der Ungrund teilt sich aber in die zwei gleich ewigen Anfänge, nur damit die zwei, die in ihm, als Ungrund, nicht zugleich oder Eines sein konnten, durch Liebe eins werden, d.h., er teilt sich nur, damit Leben und Lieben sei und persönliche Existenz … Dies ist das Geheimnis der Liebe, dass sie solche verbindet, deren jedes für sich sein könnte und doch nicht ist, und nicht sein kann ohne das andere.«
Für Schelling entsteht die Liebe also nicht aus einem Mangel heraus, aus der Sehnsucht nach Ergänzung, weil etwas fehlen würde, wie es einst der antike Mythos vom unglücklichen, zweigeteilten Kugelmenschen sagte. Indem der Ungrund sich »in zwei gleich ewige Anfänge« teilt, entsteht überhaupt kein Mangel, sondern – eine Polarität! Sie ermöglicht erst, dass Liebe wirksam werden kann, denn Liebe ist die Anziehungskraft zwischen zwei Entgegengesetzten. Sie besteht darin, sich bei eigener Vollständigkeit mit einem anderen, ebenso Vollständigen, zu verbinden. Zwei können zwei sein und wollen doch eins sein. Und dadurch erschaffen sie etwas Neues. Die ganze Natur lebt und entwickelt sich nach diesem Prinzip. Damit wird die Liebe zu einer schöpferischen Urkraft, ähnlich wie in den vorsokratischen Mythen. Sie steht am Beginn von allem, von Möglichkeit und Wirklichkeit, von Sein und Werden, von Sich-Verschenken und Bei-sich-selbst-Sein, und selbstverständlich findet Schelling nun auch in der Begegnung von Männlichem und Weiblichem ein Abbild der bipolaren Struktur.
Der Philosoph Helmut Kuhn merkte dazu im 20. Jahrhundert freilich kritisch an, dass die Frage, wie sich denn »die mit diesem Namen [der Liebe] bedachte metaphysische Potenz zu der uns aus Erfahrung bekannten menschlichen Liebe verhält … nirgends mit Entschiedenheit gestellt, geschweige denn beantwortet« wird. Aber bezogen auf Schelling selbst, ist es vielleicht doch kein biographischer Fehlschluss, wenn man vermutet, dass die Begegnung mit einer starken Frau wie Caroline solche Gedanken mit befördert hat: »Wäre nicht jedes ein Ganzes, sondern bloß Teil eines Ganzen, so wäre nicht Liebe: darum aber ist Liebe, weil jedes ein Ganzes ist und doch das andere will und das andere sucht.«
Überträgt man Schellings Gedanken über die Liebe aus den Sphären seiner Philosophie in die Konkretion unseres heutigen Lebens, so sind sie zunächst deshalb interessant, weil sie betonen, dass Liebe etwas ist, das zwischen »Vollständigen« stattfindet. In Frauenzeitschriften liest man ja auch immer wieder diesen Rat: dass unfreiwillige Singles sich bemühen sollten, auch ohne Partner ein erfülltes Leben zu führen – umso leichter werde sich eine neue Beziehung ergeben. Genau so lässt sich die Rede von der »Liebe zweier Vollständiger« begreifen. »Vollständig« zu sein, das bedeutet freilich nicht, perfekt und immer glücklich zu sein. Es bedeutet aber doch, mit allen Stärken und Schwächen selbständig und auf sich gestellt leben zu können. Denn die Liebe ist eben kein Entwicklungshilfeprogramm. In gelingenden
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