Ein unbeschreibliches Gefuehl
jederzeit zwingen sollte – auch wenn er den Adressaten seiner Nächstenliebe überhaupt nicht leiden kann. »Anderen Menschen nach unserem Vermögen wohlzutun ist Pflicht, man mag sie lieben oder nicht, und diese Pflicht verliert nichts an ihrem Gewicht, wenn man gleich die traurige Bemerkung machen müsste, dass unsere Gattung, leider! dazu nicht geeignet ist, dass, wenn man sie näher kennt, sie sonderlich liebenswürdig befunden werden dürfte.« Es scheint bei Kant geradezu ein Kennzeichen von Pflichten gewesen zu sein, dass sie nicht Spaß machen dürfen. Den Eindruck hatten jedenfalls schon damals seine Leser, unter ihnen auch Friedrich Schiller, der zur Erwiderung dichtete: »Gern dient’ ich den Freunden, doch tu’ ich es leider mit Neigung, und so wurmt es mich oft, dass ich nicht tugendhaft bin. Da ist kein anderer Rat, du musst suchen, sie zu verachten, und mit Abscheu alsdann tun, was die Pflicht dir gebeut.«
Natürlich darf in diesem Zusammenhang der kategorische Imperativ nicht fehlen, der bis heute als Kants berühmteste Aussage gilt: »Handle so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.« Wenn jeder den anderen mit der Liebe des Wohlwollens behandeln würde, dann wäre die Welt eine bessere.
Für die Liebe des Wohlgefallens gilt das freilich nicht. Im Gegenteil! In ihr vermutete Kant eine Abgründigkeit, welche die Beteiligten zu Objekten füreinander macht – zu Lustobjekten! Wer einen Menschen begehrt und mit ihm schläft, so sagt der Philosoph in seiner Vorlesung über die Ethik, der reduziert denjenigen auf seine Sexualität und beraubt ihn damit der Persönlichkeitsrechte. Denn sein Begehren richtet sich auf einzelne Körperteile und nicht auf die Person als Ganze. »Es liegt doch in dieser Neigung auf solche Art eine Erniedrigung des Menschen … Die Neigung, die man zum Weibe hat, geht nicht auf sie als einen Menschen, sondern weil sie ein Weib ist, demnach ist einem Manne die Menschheit am Weibe gleichgültig und nur das Geschlecht der Gegenstand seiner Neigungen.« Umgekehrt gilt natürlich das Gleiche. Und wenn man einander dann genossen hat, dann wirft man den anderen weg »ebenso wie man eine Zitrone wegwirft, wenn man den Saft aus ihr gezogen hat«.
Was hilft? Für Kant gibt es nur ein Mittel, diese Verdinglichung des Sexualpartners in Grenzen zu halten, und das ist die Heirat. Denn in der Ehe räumen zwei Menschen einander Rechte über ihre ganze Person und nicht nur über bestimmte Körperteile ein. Und zwar geschieht dies wechselseitig. »Wenn ich aber meine ganze Person der anderen weggebe und gewinne dadurch die Person des anderen in die Stelle, so gewinne ich mich selbst wieder.« Dann wird aus der Beziehung eine »Einheit des Willens«. Dann kann sich unter die begehrende Liebe die wohlwollende mischen, die sich auf den Menschen an sich richtet.
Kants Bild von der Ehe und von dem, was diese leisten soll, wirkt aus heutiger Sicht etwas schräg – so als ob der gesetzliche Akt der Eheschließung die angemessene Haltung der Beziehungspartner zueinander sichern könnte. Dennoch ist sehr bedenkenswert, was er über die Verdinglichung des anderen gesagt hat. Dass er sie als geradezu unvermeidliche Folge der Sexualität ansieht, ist natürlich nicht mehr haltbar. Aber es stimmt doch, dass die heutige Übersexualisierung durchaus Menschen verdinglicht, um materiellen Profit daraus zu schlagen. Und dass Liebespartner auch in gleichberechtigt denkenden Gesellschaften nicht davor gefeit sind, einander zum Objekt zu machen, das stimmt ebenfalls. Was kennzeichnet ein Objekt? Dass es zur Verfügung steht, dass man darüber bestimmen kann, dass es keinen eigenen Willen und keinen Handlungsspielraum besitzt.
Solche Schieflagen können tatsächlich entstehen – in Bezug auf die Sexualität ebenso wie in anderen Bereichen. Sie entstehen durch Manipulation und Lüge, durch Gewalt, auch durch Gewohnheit … Wieder einmal wäre dann die Freiheit in Gefahr, die Freiwilligkeit und damit die Liebe selbst. Denn wie sagte doch Kant? Die Liebe, die am anderen Wohlgefallen hat, die sinnliche und die intellektuelle Liebe, lässt sich nicht befehlen. Sie lässt sich weder manipulieren noch erzwingen. Unter solchen Versuchen stirbt sie. Was liegt näher, als hier noch einmal den vielzitierten kategorischen Imperativ zu bemühen und abzuwandeln: Behandle den anderen so, dass dein Verhalten jederzeit als Beziehungstipp für
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