Ein unbeschreibliches Gefuehl
jemandem an, einem »Du«. Das ist ihm als »Nicht-Ich« ja auch fremd. Aber immer wieder erlebt er in der Begegnung mit dem Fremden beglückt ein Wiedererkennen mit sich selbst, er findet sich selbst im anderen wieder. Der Blick, den Liebende austauschen, das Versinken in den Augen des anderen ist ein schönes Bild dafür: »So also bist du, und so erkenne ich in dir mein Eigenes wieder. So also siehst du mich und schenkst mir dadurch einen neuen Blick auf mich selbst.« Im Lauf dieses Prozesses aber entsteht etwas Neues, das mehr ist als nur die Summe zweier Teile. Eine Paarbeziehung macht aus zwei Menschen etwas Neues, Drittes, eine eigene Wirklichkeit, die sich entfalten will.
Das sind große Worte. Aber sie passen zu Hegels Philosophie, denn diese stellt in der Geistesgeschichte das letzte große, in sich geschlossene Gedankensystem dar – den letzten Versuch, Mensch und Welt, Geist und Natur in einem großen Wurf in eins zu bringen. Künftig wird mit kleinerer Münze gehandelt werden. Die Spezialisierung der Natur- und Sozialwissenschaften wird das Bild vom Menschen verändern, und spätestens die schrecklichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts werden das optimistische Bild vom schrittweisen Zu-sich-selbst-Kommen des Weltgeistes endgültig als Wunschvorstellung verabschieden. Damit wird auch der Blick auf die Liebe nüchterner werden – und realistischer.
Getriebene sind wir
V on Nüchternheit kann bei ihm nicht die Rede sein, aber auf andere Weise ist Arthur Schopenhauer doch das Gegenstück zum etwas älteren Hegel. Nicht etwa deshalb, weil er als Universitätsdozent in Berlin scheiterte: Er legte seine Vorlesungen auf exakt dieselbe Stunde wie der berühmte Kollege und wunderte sich dann, dass der Hörsaal nahezu leer blieb. Hegel war für ihn ein verhasster »Unsinnschmierer«, ein »Scharlatan« und »geistiger Kaliban« (das ist der bucklige Zwerg aus Shakespeares Drama »Der Sturm«, nicht zu verwechseln mit den Taliban). Die Denker des Idealismus beschimpfte Schopenhauer als »Windbeutel«, wie ihm überhaupt die zeitgenössische Philosophie nicht viel galt – ihn selbst natürlich ausgenommen. Dass er spät im Leben doch noch Anerkennung für sein Werk erfuhr, erstaunte ihn nicht wirklich.
Arthur Schopenhauer war ein Pessimist und beileibe kein Menschenfreund. Er war reizbar, ehrgeizig – eben ein Genie. Mit vielen Zeitgenossen hatte er Streit, selbst mit seiner Mutter Johanna, einer Weimarer Schriftstellerin, die das Leben etwas lockerer nahm als er. Seine ungeteilte Liebe galt eigentlich nur einer Art von Lebewesen: seinen Pudeln, die er nach dem hinduistischen Wort für (Einzel-)Seele »Atman« taufte und nach ihrem Tod jeweils durch einen gleichnamigen Nachfolger derselben Rasse ersetzte. Über Frauen äußerte sich der Philosoph erwartungsgemäß wenig schmeichelhaft: »Das niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und kurzbeinige Geschlecht das schöne nennen konnte nur der vom Geschlechtstrieb umnebelte männliche Intellekt: In diesem Triebe nämlich steckt seine ganze Schönheit. Mit mehr Fug als das schöne könnte man das weibliche Geschlecht das unästhetische nennen. Weder für Musik noch Poesie, noch bildende Künste haben sie wirklich und wahrhaftig Sinn und Empfänglichkeit; sondern bloße Äfferei, zum Behuf ihrer Gefallsucht, ist es, wenn sie solche affektieren und vorgeben.«
Was hat dieser Mann über die Liebe zu sagen? Hat er sie je erlebt? Ja, er hat! Von 1821 an war Schopenhauer fast zehn Jahre lang mit der Berliner Schauspielerin und Sängerin Caroline Medon liiert. 1821 hatte er die damals 19-Jährige kennengelernt. Doch sie war ihm nicht treu: 1823 bekam sie einen Sohn, der definitiv nicht von ihm stammen konnte, da er zum fraglichen Zeitpunkt in Italien gewesen war. Schopenhauer war durch diesen Seitensprung tief verletzt: »Die Männer sind die Hälfte ihres Lebens Hurer und die andre Hälfte Hahnreie, und die Weiber zerfallen demgemäß in Betrogene und Betrügerinnen.« Trotzdem konnte er sich nicht von Caroline trennen.
1827 dann machte er der 17-jährigen Kunsthändlertochter Flora Weiß einen spontanen Heiratsantrag, für den Moment seine eigene Ansicht über die Ehe vergessend, die da lautete: »Heiraten heißt mit verbundenen Augen in einen Sack greifen und hoffen, dass man einen Aal aus einem Haufen Schlangen herausfinde.« Flora lehnte dankend ab, und Caroline blieb weiter auf der Bildfläche. Als Schopenhauer 1831 nach Frankfurt am Main ging,
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