Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Schlueter
Vom Netzwerk:
Laune vermissen lässt, erinnert in seiner Grimmigkeit an Aussagen, die Schopenhauer über die Frauen machte. Tatsächlich ging der 1844 geborene Pfarrerssohn und Altphilologe Nietzsche in seinem Denken von ähnlichen Voraussetzungen wie Schopenhauer aus – um jedoch bei ganz anderen Schlussfolgerungen zu landen.
    Von dem Älteren, dessen Lektüre ihn in Jugendjahren sehr prägte, übernahm er die Überzeugung, dass Welt und Mensch von einer Kraft namens Wille getrieben sind. Aber anders als bei Schopenhauer ist der Wille für Nietzsche nicht ziellos, sondern ganz klar ausgerichtet auf Vitalität, auf Stärke: Es ist ein »Wille zur Macht« – so eine von Nietzsche häufig gebrauchte Wendung. Mindestens ebenso häufig schrieb der Philosoph von einer »Umwertung aller Werte«. Diese Umwertung war sein wichtigstes Thema. Sie predigte er unter dem Namen des alten persischen Religionsstifters Zarathustra in seinem Hauptwerk »Also sprach Zarathustra« (1883–1885). In dem Buch findet sich übrigens auch der berühmte Satz mit der Peitsche.
    Für Nietzsche kann der Mensch mehrere Entwicklungsstadien durchlaufen: Das erste, symbolisiert durch das Kamel, ist geprägt durch den Glauben an die überlieferten religiösen und kulturellen Werte. Mit schweren Lasten bis zur Selbsterniedrigung beladen, eilt das Kamel in die Wüste und wird hier zum Löwen, der sich von den Zwängen der Tradition befreit. Das Symbol des dritten Stadiums ist das Kind: Es steht für ein neues Ja zum Leben. Jetzt ist der Mensch zum Übermenschen geworden. Im Gegensatz zu den bisherigen, den Herdenmenschen, ist der Übermensch kraftvoll, tapfer, frei, elitär, mitleidlos und vom Willen zur Macht getrieben. Um dieses Stadium zu erreichen, muss aber der jetzige Mensch überwunden werden.
    Die Charakterbeschreibung des Übermenschen lässt schon ahnen, welche neuen Werte für ihn gelten sollen: Was gut ist und was schlecht, bemisst sich allein daran, ob es dem Willen zur Macht entspricht. Tüchtigkeit ist gut, Tugend nicht. Starksein ist gut, Schwachsein schlecht. Krieg ist gut, denn er dient dem Machtgewinn. Dieser Werteskala entsprechend beurteilt Nietzsche nun auch die Liebe: Ganz unten steht die passiv sich hingebende Liebe. Sie ist für den Philosophen die typisch weibliche Art zu lieben. Darüber steht die männliche Liebe. Sie ist aktiv, verwirklicht sich darin, dass sie ihren Gegenstand im Sinne ihres Ideals formt. Die sexuelle Liebe interpretierte Nietzsche folgerichtig als »Symbol der unbedingten Unterwerfung« auf der einen Seite und als »Symbol der Zustimmung zu ihr, Zeichen der Besitzergreifung« auf der anderen.
    Auf der dritten, der obersten Stufe steht die Liebe, die sich, ausgehend vom zweiten Stadium, in Freundschaft verwandelt hat: »Es gibt wohl hier und da auf Erden eine Art Fortsetzung der Liebe, bei der jenes habsüchtige Verlangen zweier Personen nacheinander einer neuen Begierde und Habsucht, einem gemeinsamen höheren Durste nach einem über ihnen stehenden Ideale, gewichen ist: aber wer kennt diese Liebe? Wer hat sie erlebt? Ihr rechter Name ist Freundschaft «, schreibt Nietzsche in »Die fröhliche Wissenschaft«, Band eins (1882). Diese Freundschaft kann durchaus auch weh tun, denn sie ist von den Idealen des Übermenschentums geprägt: »Missverständnis der Liebe: Es gibt eine sklavische Liebe, welche sich unterwirft und weggibt: welche idealisiert und sich täuscht – es gibt eine göttliche Liebe, welche verachtet und liebt und das Geliebte umschafft, hinaufträgt. « Wer so liebt, der lehnt beim Geliebten alles Mittelmäßige ab und duldet keine Schwäche. Der verachtet, indem er liebt, am Geliebten das Gegenwärtige um des Zukünftigen willen: »Alle große Liebe will nicht Liebe: – die will mehr.«
    Nietzsche sah sich selbst nicht als Übermenschen, sondern als denjenigen, der diesen verkündet. Man würde ihm also nicht gerecht, wenn man von ihm im Umgang mit Frauen die unbekümmerte Stärke eines »Übermenschen« verlangen würde. Allerdings schien der Philosoph nicht einmal das Ideal der männlichen, also besitzergreifenden und ihren Gegenstand umformenden Liebe verwirklicht zu haben. Frauen gegenüber war Nietzsche unglaublich schüchtern, obwohl (oder weil) er nach dem frühen Tod des Vaters nur von Frauen umgeben war: der Großmutter, der Mutter, zwei Tanten, seiner Schwester und dem Dienstmädchen. So landete er einmal als junger Mann in Köln, von einem Dienstmann falsch geführt, in einem Bordell.

Weitere Kostenlose Bücher