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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Schlueter
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Dort blieb er eine Weile schreckensstarr stehen und rettete sich schließlich zum Klavier – »zum einzig seelenvollen Wesen in diesem Raum«, wie er später sagte, und spielte darauf einige Akkorde. Dann verließ er diesen ihm unheimlichen Ort.
    Ein andermal lernte er eine junge Frau kennen, Mathilde Trampedach. Ihr machte er nach nur wenigen gemeinsamen Spaziergängen brieflich einen Heiratsantrag. In dem Brief stand allerdings auch, der Werber werde, wenn die Dame das Schreiben in Händen halte, bereits abgereist sein … Bei so viel Entschlussfreude wundert es nicht, dass der Antrag folgenlos blieb.
    Einen Menschen gab es allerdings, der Nietzsche bei der Suche nach einer Frau sehr unterstützte: seinen Freund Paul Rée. Er schrieb Nietzsche auch von einer jungen russischen Studentin, die er in Rom im Haus der Schriftstellerin Malwida von Meysenburg kennengelernt habe und die sich für seine Philosophie interessiere: Lou von Salomé. »Grüßen Sie diese Russin von mir, wenn dies irgendeinen Sinn hat«, antwortete Nietzsche entzückt. »Ich bin nach dieser Gattung von Seelen lüstern. Ja ich gehe nächstens auf Raub danach aus.« 1882 standen sie einander im Petersdom zu Rom erstmals gegenüber: die hochbegabte Lou von Salomé und der 16 Jahre ältere, immer noch unbekannte Philosoph, der aus gesundheitlichen Gründen bereits frühpensioniert war. »Von welchen Sternen sind wir uns hier einander zugefallen?«, so begrüßte Nietzsche die junge Frau, die bereit war, einem Lehrer zu folgen. Er verliebte sich tatsächlich, aber Lou von Salomé war ausschließlich an einer geistigen Beziehung interessiert.
    Außerdem war da noch der gemeinsame Freund Paul Rée, der mittlerweile ebenfalls für Lou von Salomé schwärmte. Ein berühmt gewordenes Foto von 1882 zeigt das Dreiergespann in einer von Nietzsche arrangierten Pose: Lou hockt auf einem Handkarren, und die beiden Männer stehen an der Deichsel, als würden sie die Frau ziehen. In der Hand hält Lou – eine Peitsche!
    Die Freundschaft hielt nicht länger als ein Jahr. Nietzsche, der sich wegen Lou von Salomé schließlich sogar mit Mutter und Schwester überwarf, konnte sich nicht damit abfinden, dass die Russin in ihm nur den Lehrer und Philosophen sah und nicht den Mann. Er brach mit ihr und schließlich auch mit Rée. Lou und Rée lebten in den folgenden Jahren in einer Berliner Studenten-WG die Art von ausschließlich geistiger Gemeinschaft, die Lou vorschwebte. Da hatte Nietzsche für seine einstige große Liebe längst nur noch beleidigende Worte übrig. Nach seinem geistigen Zusammenbruch 1889 verlebte er die letzten elf Jahre seines Lebens überwiegend unter der Kuratel seiner Schwester, die ihn ab 1893 pflegte, dabei regelrecht zur Besichtigung ausstellte und auch die Herausgabe seiner Werke kontrollierte. Lou von Salomé, die 1887 den Orientalisten Friedrich Carl Andreas heiratete, wurde später als Schriftstellerin, Schülerin Sigmund Freuds und Psychoanalytikerin der ersten Generation bekannt.
    Liebe als Hingabe, Liebe als Besitzergreifen – für Nietzsche waren das typisch weibliche und typisch männliche Liebesweisen. Sein eigenes Leben zeigt jedoch schon, dass man es so stereotyp nicht sehen kann. Wenn man nun die Zuordnung zu den Geschlechtern auflöst, dann zeigen sich tatsächlich Verhaltensweisen, die Bestandteil jeder Liebe sind – nur eben möglichst nicht auf jeweils eine Seite festgelegt, sondern flexibel: Wer sich heute hingibt, der ergreift morgen spielerisch Besitz vom anderen und umgekehrt. Die Rollen werden immer wieder gewechselt, so bleibt die Beziehung im Gleichgewicht.
    Was aber ist mit jener Feindschaft gegen das Mittelmäßige, die Nietzsche als Kennzeichen einer hochentwickelten Freundschaft ansah – bis hin zu der Feindschaft, in der zwei ineinander verbissene Übermenschen einander trotzen? Im Nachdenken darüber stellt sich unwillkürlich eine Kälte ein, die ahnen lässt, wie solch eine Beziehung aussähe. Da wäre Starksein alles und Schwachsein verboten. Da schlüge die gegenseitige Förderung, die in der Liebe doch auch immer stattfinden soll, um in eine unbarmherzige Forderung. In einer solchen Liebe wäre kein Platz für Geborgenheit.
    Aber auch hier lässt sich, wenn man das »Über«- und Unmenschliche abzieht, ein wahrer Kern finden. Einen anderen Menschen zu lieben, das bedeutet ja auch, dessen Stärken zu erkennen und ihn darin zu unterstützen, sie weiterzuentwickeln – doch ohne dabei die Grenzen des

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