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Ein unbezaehmbarer Verfuehrer

Titel: Ein unbezaehmbarer Verfuehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Hoyt
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machte? Die Vorstellung war ihr unerträglich, aber sie würde es ertragen müssen. Wenn er überlebt hatte, was ihm angetan worden war, konnte sie sich zumindest anhören, was geschehen war.
    „Gut, dann will ich zum Punkt kommen." Er atmete tief durch, als müsse er sich wappnen für das, was er ihr jetzt erzählen würde. „Sie haben uns zu einem Platz hinter dem Lager geführt und nackt ausgezogen. Uns wurden die Hände auf dem Rücken gefesselt, dann wurden wir an einen Pfahl gebunden, sodass wir zwar stehen und uns etwas bewegen, aber nicht fortlaufen konnten. Als Erstes haben sie sich einen Mann namens Coleman vorgenommen. Sie haben ihn fast bewusstlos geprügelt, ihm die Ohren abgeschnitten und ihn mit glühenden Kohlen beworfen. Als er zu Boden sank, haben sie ihn skalpiert und noch lebend unter glühenden Kohlen begraben."
    Helen gab einen Laut des Entsetzens von sich, doch er schien es gar nicht zu hören.
    Blicklos starrte er auf seine Hände. „Coleman hat zwei Tage gebraucht, ehe er gestorben ist, und die ganze Zeit mussten wir zusehen und wussten, dass wir die Nächsten wären. Angst ..." Er räusperte sich. „Angst bringt die unschönsten Seiten eines Menschen zum Vorschein, nimmt ihm seine Menschlichkeit."
    „Alistair", flüsterte sie, seine Geschichte wollte sie nicht länger hören.
    Doch er fuhr fort. „Einen der Offiziere haben sie ans Kreuz geschlagen und in Brand gesteckt. Es war grauenvoll, ihn sterben zu sehen. Hohe, schrille Schreie hat er ausgestoßen, wie ein Tier. So etwas habe ich weder zuvor noch seitdem gehört. Als die Reihe an mir war, empfand ich fast Erleichterung, was dich vielleicht wundert, aber so war es. Ich wusste, dass ich sterben würde, es blieb mir nur noch, es so tapfer wie möglich hinter mich zu bringen. Keinen Laut gab ich von mir, als sie mir das Gesicht zerschnitten, mir die Haut mit glühender Klinge verbrannten. Doch als sie mit einem Messer mein Auge ..."
    Gedankenverloren hob er die Hand an die versehrte Seite seines Gesichts, strich mit den Fingern über die Narben. „Ich muss wohl die Besinnung verloren haben. Genau kann ich mich nicht mehr erinnern. Eigentlich erinnere ich mich erst wieder daran, dass ich im Lazarett von Fort Edward aufgewacht bin. Ich war ziemlich überrascht, noch am Leben zu sein."
    „Darüber bin ich sehr froh."
    Er sah zu ihr hinunter. „Worüber?"
    Sie fuhr sich hastig über die Wangen. „Dass du überlebt hast. Dass Gott dir die Erinnerung daran genommen hat."
    Da lächelte er so bitter, dass sie den Anblick kaum ertragen konnte. „Gott hatte damit überhaupt nichts zu tun."
    „Wie meinst du das?"
    „Wie sollte er? Es war so sinnlos.” Er holte mit unbestimmter Geste aus. „Alles, verstehst du? Es gab keinen tieferen Sinn, keine Ordnung. Einige von uns haben überlebt, andere nicht. Manche trugen schreckliche Verwundungen davon, andere nicht. Ganz gleich, ob einer nun gut oder schlecht war, tapfer oder schwach — alles, was geschah, blieb allein dem Zufall überlassen."
    „Aber du hast überlebt", flüsterte sie.
    „Habe ich das?" Sein Auge funkelte. „Ich bin zwar am Leben, aber ich bin nicht mehr der Mann, der ich einmal war. Habe ich wirklich überlebt?"
    „Ja", sagte sie entschieden, stand auf und ging zu ihm, legte ihm die Hand an die versehrte Wange. „Du lebst, und ich bin froh darum."
    Er bedeckte ihre Hand mit der seinen, und einen Moment standen sie einfach nur so da. Sein Blick suchte ihren, eindringlich und verwirrt.
    Dann wandte er sein Gesicht ab, und sie ließ ihre Hand sinken. Helen fühlte sich, als habe sie gerade etwas versäumt, aber sie wusste nicht was. Mit einem tiefen Gefühl der Verlassenheit setzte sie sich wieder aufs Bett.
    Er zog sich weiter an. „Sowie es mir gut genug ging, um reisen zu können, fuhr ich zurück nach England. Die Gesellschaft anderer habe ich seitdem aus verständlichen Gründen gemieden." Er berührte kurz seine Augenklappe. „Doch vor einem Monat kamen Viscount Vale und deine Freundin, Lady Vale ..."
    Er hielt inne und runzelte die Stirn. „Sag einmal, wie kommt es eigentlich, dass du Lady Vale kennst? War dieser Teil deiner Geschichte auch nur ausgedacht?"
    „Nein, das entspricht der Wahrheit." Helen machte ein verlegenes Gesicht. „Auch wenn es seltsam anmuten mag, dass eine Mätresse wie ich mit einer ehrenwerten Dame wie Lady Vale befreundet ist. Ich muss gestehen, dass ich sie nicht besonders gut kenne. Wir sind uns ein paarmal im Park begegnet, doch als

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