Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein unbezaehmbarer Verfuehrer

Titel: Ein unbezaehmbarer Verfuehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Hoyt
Vom Netzwerk:
hatte. Durch das zurückgebundene Haar waren seine Narben zwar deutlich zu erkennen, dafür sah er aber endlich mal zivilisiert aus. Wie sie so sein Profil betrachtete, erkannte sie, dass er ohne die Narben wohl ein gut aussehender Mann wäre. War er weibliche Aufmerksamkeit gewohnt gewesen, bevor er so versehrt worden war? Irritiert wandte sie sich ab.
    Und stellte fest, dass Miss Munroe sie mit unergründlicher Miene beobachtete. „Das allein ist es nicht."
    „Wie meinen Sie das?", fragte Helen und runzelte die Stirn. „Abigail hat geschrien, als sie ihn das erste Mal gesehen hat."
    Miss Munroe nickte knapp. „Ganz genau. Kinder, für die er ein Fremder ist, haben Angst vor ihm. Selbst gestandene Männer schauen ihn misstrauisch an."
    „Er möchte nicht, dass andere sich seinetwegen unwohl fühlen." Helen sah auf und meinte, so etwas wie Anerkennung in Miss Munroes Augen aufblitzen zu sehen.
    „Können Sie sich das vorstellen?", meinte Miss Munroe versonnen. „Ein Gesicht zu haben, mit dem sie überall die Aufmerksamkeit auf sich ziehen? Dass Leute Ihretwegen stehen bleiben und Sie anstarren? Er kann nicht einfach er selbst sein und in der Menge untertauchen. Immer fällt er auf, wo er auch hingeht, er ist sich seines Aussehens ständig bewusst. Das stelle ich mir ziemlich anstrengend vor."
    „Es muss die Hölle sein." Helen biss sich auf die Lippen und spürte eine Welle des Mitgefühls, die drohte, ihr den Verstand zu rauben. „Besonders für ihn. Er gibt sich so abweisend und schroff, doch ich glaube, dass er empfindsamer ist, als er uns glauben machen will."
    „Nun verstehen Sie so langsam." Miss Munroe lehnte sich zurück und betrachtete ihren Bruder nachdenklich. „Direkt nach seiner Rückkehr aus den Kolonien war es längst nicht so schlimm. Oh ja, seine Wunden waren damals noch frisch und viel grausamer als heute, aber ich glaube, ihm war das Ausmaß seiner Verletzungen noch nicht bewusst. Erst nach einem guten Jahr wurde ihm klar, dass er nun immer so aussehen würde. Dass er einfach nicht mehr nur ein Mann war, sondern als abscheulich galt, um nicht zu sagen als Ungeheuer betrachtet wurde."
    Helen wollte widersprechen.
    Miss Munroe sah sie scharf an. „So ist es; behaupten Sie nicht das Gegenteil. Es hilft ihm nicht, das alles zu beschönigen. So zu tun, als wären die Narben nicht da oder als wäre er ein Mann wie alle anderen. Das ist er nicht, und sie sind da, diese Narben. Er ist, was er ist." Sie beugte sich vor und sah Helen so eindringlich an, dass diese am liebsten weggeschaut hätte. „Und wissen Sie was? Das macht ihn mir nur noch lieber. Verstehen Sie, was ich meine? Bevor er in die Kolonien gegangen ist, war er ein guter Mensch. Seit seiner Rückkehr ist er ein außergewöhnlicher Mensch. Manche meinen, dass Heldenmut sich auf dem Schlachtfeld zeige — ein heroischer Akt ohne Gedanken an die Konsequenzen, der vorbei ist, ehe man weiß, wie einem geschieht. Mein Bruder hingegen lebt seit Jahren mit seiner Bürde. Und er schlägt sich tapfer, jeden Tag." Sie lehnte sich wieder zurück in ihrem Stuhl, ohne Helen dabei aus den Augen zu lassen. „Das ist wahrer Heldenmut."
    Helen ertrug es nicht länger, so angeschaut zu werden; sie senkte den Blick und starrte in ihre Tasse. Ihre Hände zitterten. Heute früh, in der Küche, hatte sie noch nicht begriffen, welche Last er mit sich trug. Ehrlich gesagt hatte sie es sogar ziemlich feige gefunden, wie er sich hier in seiner verwahrlosten Burg vor der Welt versteckte. Aber nun ... Seit Jahren ein Ausgestoßener zu sein und zu erkennen — wie es einem so intelligenten Mann wie Sir Alistair es war, auch klar sein musste —, dass dieses Urteil lebenslänglich galt, bedurfte wahrer Stärke. Es brauchte wirklich Heldenmut. Sie hatte sich bisher kaum Gedanken darüber gemacht, was Sir Alistair durchgestanden haben mochte und was er bis ans Ende seines Lebens würde durchstehen müssen.
    Sie schaute zu ihm hinüber. Er hatte ihr noch immer sein Profil zugewandt, war noch immer in das Gespräch mit Miss McDonald vertieft. Seine Nase war lang und gerade, sein Kinn fest und ziemlich markant. Seine Wange war straff, doch sein Auge wirkte müde. Er war ein gut aussehender, intelligenter Mann, so spät am Abend wirkte er vielleicht ein wenig erschöpft. Er musste ihren Blick gespürt haben. Als er sich umwandte, waren seine Narben auf einmal wieder zu sehen rot, wulstig und hässlich. Die Augenklappe verbarg zwar das fehlende Auge, doch die Wange

Weitere Kostenlose Bücher