Ein unbezaehmbarer Verfuehrer
natürlich auch wollte, nichts lieber als das —, sondern einfach um mit ihr zusammenzuliegen, ihren warmem Leib an sich geschmiegt. Sie in seinen Armen zu halten, während er schlief, und sie noch immer dort zu finden, wenn er aufwachte.
Solange sie ihn ließ. Denn obwohl sie nie darüber gesprochen hatte, wusste er doch, dass sie keine Frau war, die nur für den Augenblick leben konnte. Früher oder später würde sie anfangen, sich Gedanken über die Zukunft zu machen, vielleicht sogar erwägen, sie gemeinsam mit ihm zu verbringen — und unweigerlich zu der Erkenntnis gelangen, dass er ihr keine Zukunft bieten könne.
Dann würde sie ihn verlassen.
Ein ernüchternder Gedanke. Er verdrängte ihn, zumindest vorerst, hatte die Erfahrung ihn doch gelehrt, dass es wenig Sinn hatte, sich gegen sein Schicksal zur Wehr zu setzen. Irgendwann würde sie ihn verlassen, irgendwann würde er den Verlust betrauern. Aber nicht heute. Er warf die Bettdecke zurück, wusch sich, band die Augenklappe wieder um und kleidete sich an. Sophia hatte angekündigt, früh abreisen zu wollen, und er rechnete damit, sie bereits unten anzutreffen, voller Ungeduld auf ihn wartend, während ihr Gepäck in die Kutsche geladen wurde.
Doch in der großen Halle war niemand. Er sah hinaus, wo zwar die Kutsche in der Auffahrt bereitstand, von seiner Schwester jedoch keine Spur zu sehen war. Nun, vielleicht saß sie ja noch beim Frühstück. Er ging weiter zum Speisezimmer, wo er eines der Mädchen beim Aufdecken des Bestecks antraf. Es knickste, sowie es ihn sah.
„Ist Miss Munroe hier irgendwo?", fragte er.
„Sie ist noch nicht heruntergekommen, Sir", erwiderte das Mädchen.
Alistair grinste. Sophia hatte verschlafen — eine Seltenheit und Anlass genug, sie ordentlich aufzuziehen. „Dann geh bitte hinauf und wecke sie und Miss McDonald. Meine Schwester wollte heute früh aufbrechen."
„Ja, Sir." Wieder knickste das Mädchen und eilte davon.
Alistair nahm sich eines der warmen Brötchen aus dem Brotkorb, der auf der Anrichte stand, dann ging auch er wieder hinaus. Draußen im Korridor blieb er unschlüssig stehen. Er wollte es nicht verpassen, wenn seine Schwester ihren verspäteten Auftritt hatte, aber bis dahin war noch ein wenig Zeit. Das Brötchen in der Hand, schlenderte er weiter in Richtung Küche, als ein Geräusch ihn innehalten ließ. Kalt lief es ihm den Rücken hinunter, und sein Mund wurde so trocken, dass er den letzten Bissen kaum noch schlucken konnte.
Da weinte jemand. Ein Kind.
In diesem Teil der Burg war Helen noch nicht weit mit der Arbeit gekommen; von dem schmalen Gang gingen zahlreiche ungenutzte Räume ab, die sich in beklagenswertem Zustand befanden. Alistair ging von Tür zu Tür, bis er den verzweifelten Lauten auf die Spur gekommen war. Er stieß die Tür auf. Düster war es in dem Raum, Staub tanzte im schwachen Lichtstrahl, der durch das schmutzige Fenster fiel. Erst sah Alistar sie nicht, doch dann bewegte sie sich und schluchzte leise.
Es war Abigail, die neben einem mit alten Tüchern verhüllten Sofa auf dem Boden kauerte, den Welpen fest an sich gedrückt.
Etwas verunsichert ging er zu ihr, wusste weder, was passiert war, noch, ob er ihr helfen könnte. Doch da sah er auf einmal Wiggins, der durch die Hintertür hinausschlüpfen wollte.
Und er sah rot.
Alles ging so schnell, dass er später nicht hätte sagen können, wie es dazu gekommen war, aber als er wieder bei Sinnen war, hatte er den elenden Wiggins am hageren Hals gepackt und schlug seinen Kopf auf den blanken Steinboden des Korridors.
„Alistair!"
Jemand rief seinen Namen, aber ihn kümmerte einzig das verkommene, rot angelaufene Gesicht vor ihm auf dem Boden. Wie konnte er es wagen? Wie konnte er es nur wagen, sie anzufassen? Das würde er nie wieder tun! Nie, nie wieder!
„Alistair!"
Eine zarte Frauenhand legte sich auf seine versehrte Wange, sanfter Druck ließ ihn aufsehen. Er blickte geradewegs in Helens glockenblumenblaue Augen. „Nicht, Alistair. Lass ihn los."
„Abigail", stieß er mit rauer Stimme hervor.
„Ihr ist nichts passiert", beschwichtigte Helen ihn. „Ich weiß nicht, was er zu ihr gesagt hat, aber er hat ihr nichts getan."
Das, und nur das, ließ ihn wieder zur Vernunft kommen. Unvermittelt ließ er Wiggins los, richtete sich auf und wich einen Schritt zurück. Erst da bemerkte er Sophia und Miss McDonald, die, beide noch im Morgenrock, am Fuß der Treppe standen. Miss McDonald hatte den Arm um Jamie
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