Ein unerhörter Ehemann (German Edition)
Nach ihrem nächsten Besuch litt der Herzog an einer Hörschwäche im rechten Ohr, die sich nie mehr gebessert hat. Jedenfalls gab er meiner Mutter die Schuld an seiner Taubheit.«
Cams Arme umschlangen sie fest. »Es tut mir so leid, dass er dir das angetan hat. Ich hätte nie gedacht, dass er dies bei jemand anderem als seinem eigenen Kind wagen würde. Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass du mich damals auf meiner Flucht hättest begleiten sollen.«
Gina lachte hell auf. »Nein, das war unmöglich! Stell dir vor, wie lästig eine elf Jahre alte Braut gewesen wäre.«
»Nun, wenn ich vorhergesehen hätte, dass er dich im Weinkeller einschließt, hätte ich dich mitgenommen.«
»Um ehrlich zu sein, hat mir der Keller gar nicht so viel ausgemacht. Ich bin ein sehr praktischer Mensch und war es schon mit elf Jahren. Ich habe nie viel Fantasie besessen. Aber wenn er dir als Kind so etwas angetan hat, muss es eine schreckliche Erfahrung gewesen sein.«
»Das erste Mal ist es meiner Erinnerung nach an dem Tag passiert, als meine Mutter beerdigt wurde. Er fand, ich hätte nicht genügend Ehrfurcht gezeigt, weil ich während der Morgenandacht herumgezappelt hatte. Also schloss er die Kapellentür ab und ließ mich mit ihrem Leichnam allein.«
»Das ist ja furchtbar!«, keuchte Gina. »Dieses alte Scheusal! Du warst damals erst sieben oder acht, nicht wahr?«
»Fünf«, berichtigte Cam. »Danach hat er mich mit schöner Regelmäßigkeit eingesperrt. Ich sage mir immer wieder, dass ich nie ein Feigling geworden wäre, wenn er mir nicht solche Dinge eingeredet hätte.«
»Du bist kein Feigling!« Sie lagen wieder auf der Chaiselongue. Gina hatte ihre Arme um seinen Hals geschlungen. »Was hat er dir eingeredet?« Sein Körper schien sich nun etwas entspannt zu haben.
»Dass der Geist meiner Mutter mich verfolgen würde. Ich habe ihm natürlich geglaubt. Er konnte recht anschaulich von verwesendem Fleisch und Würmern erzählen.«
»So ein grausamer alter Mann!«, fauchte Gina.
»Ja. Ich habe allerdings Jahre gebraucht, um das zu erkennen. Und selbst jetzt, nach so vielen Jahren, fühle ich mich im Dunkeln unwohl.«
»Es war abscheulich von ihm, so von deiner Mutter zu sprechen«, sagte Gina. »Denn sie hat dich über alles geliebt.«
»Woher weißt du das?« Er klang ein wenig belustigt.
»Weil ich es eben weiß«, gab sie zurück.
Cam zuckte die Achseln. »Ich kann mich überhaupt nicht an meine Mutter erinnern. Ich habe immer gedacht, sie wäre wie alle Damen der Gesellschaft, die ihren Söhnen und Erben einmal in der Woche den Kopf tätscheln.«
»Nein«, widersprach Gina. »So war sie keineswegs. Du musst wissen, dass ich ihr Schlafzimmer bekommen habe.«
»Ihr Zimmer? Das war während meiner gesamten Kindheit zugesperrt.«
»Als er deine Flucht entdeckte, ließ dein Vater dein Zimmer verschließen und teilte mir stattdessen das Zimmer deiner Mutter zu.«
Cams Lippen ruhten warm an ihrem Ohr. »Er wollte uns alle beide in Angst versetzen, stimmt’s? Ein Glück, dass du so viel Rückgrat besitzt.«
»Am Anfang war es etwas merkwürdig«, gab Gina zu. »Im Schrank hingen ihre Kleider und auf dem Tisch lagen ihre Haarbürsten noch genauso wie an ihrem Todestag. Aber meine Gouvernante ließ sich nicht im Geringsten davon beeindrucken, dass die Sachen deiner Mutter seit einer Dekade nicht angerührt worden waren. Wir haben also die Kleider zusammengelegt und weggepackt. Und in einer Tasche haben wir ein kleines Büchlein gefunden. Das Tagebuch deiner Mutter.«
Cam hatte träge ihren Nacken gestreichelt, doch als Gina das Tagebuch erwähnte, hielten seine Finger inne.
Sie ließ sich in seinem Arm zurücksinken, falls er die Absicht hegen sollte, seine Hand um eine Winzigkeit wegzubewegen.
»Sie schreibt über dich als Baby«, berichtete sie. »Du warst das süßeste Baby, das jemals in England, Schottland oder Wales zur Welt gekommen ist. Sie hat dich jede Nacht in den Schlaf gesungen. Selbst wenn ihr Gäste hattet, stahl sie sich in die Kinderstube und sang dir etwas vor.«
Cams Finger streichelten sie nun wieder, doch Gina merkte deutlich, dass er ihr genau zuhörte.
»Du hattest riesige schwarze Augen und eine dicke Unterlippe. Du hast sie immer auf eine ganz besondere Art angelächelt, und dein erster Zahn war hier .« Sie legte einen Finger auf seine Lippen. Er leckte den Finger, und sie steckte ihn in den Mund. »Mmm«, sagte sie verträumt. »Du schmeckst sehr süß, selbst noch als
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