Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
Seth ergriff ihre Hand und drückte sie. Beatrice sagte nichts, sie ließ ihn einfach ihre Hand halten, und Seths Herz schmerzte vor all den ungefragten Fragen. Woran dachte sie? Sie bereute es doch nicht etwa? Er musste sie haben, er konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich nach diesem Tag noch für einen anderen entscheiden könnte. Er schloss die Augen. In Amerika warteten Lily und ihre Familie auf ihn. Das ganze Frühjahr über hatte er die Reise aufgeschoben, jetzt hatte er keine Wahl mehr, er musste fahren. Geschäfte und Investoren verlangten seine Anwesenheit, Termine waren vereinbart, und die Leute erwarteten, dass er seine Versprechen hielt. Er musste fahren. Doch er würde so schnell wie möglich wieder nach Hause zurückkommen. Zu Beatrice.
«Sag, dass du mitkommst», bat er in flehentlichem Ton. Er hatte überhaupt keinen Stolz mehr. Sie musste ihre Meinung doch geändert haben, oder nicht? Sie musste sich jetzt doch für ihn entscheiden?
«Es kommt darauf an, wie es Sofia geht …», antwortete Beatrice mit dünner Stimme und wich seinem Blick aus.
Ich werde nicht bereuen, was ich getan habe, dachte Beatrice, während sich die Wirklichkeit unbarmherzig zurückmeldete. Es waren magische, verzauberte Momente gewesen. Das Erlebnis hatte sie verändert. Doch Seth würde trotzdem abreisen.
«Bitte komm zumindest zum Hafen. Vielleicht überlegst du es dir ja noch einmal», bat er.
Beatrice lächelte und lehnte den Kopf an seine Schulter. Sie konnte wohl kaum mit ihm nach Amerika fahren, das musste er doch einsehen. Sie schauderte. Sie hatten ein wunderbares, großartiges Erlebnis geteilt. War es für ihn genauso? Oder war es für ihn nur ein alltägliches Ereignis, das er genauso gut mit jeder anderen Frau hätte haben können?
«Wenn du mir einen Wagen schickst, komme ich», hörte sie sich sagen. «Nicht nach Amerika, aber zum Hafen, um mich von dir zu verabschieden.»
«Versprich es mir.»
Beatrice lächelte. «Ich verspreche es dir.»
Seth küsste sie, und sie klammerte sich fest an ihn.
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25
Als Edvard am nächsten Tag im Salon im Erdgeschoss saß, hörte er laute Stimmen und Gepolter an der Tür. Neugierig ging er nachsehen. Ein Dienstmädchen stritt sich mit einem Mann, der eine speckige Mütze in der Hand hielt. Die Tür stand weit offen, und auf der Straße stand ein lackierter Wagen mit zwei glänzenden Pferden davor.
«Ja bitte?», fragte Edvard kühl.
«Ich soll ein Fräulein Löwenström abholen», sagte der schmutzige Mann.
Edvard sah das Mädchen an: «Du kannst gehen», forderte er sie auf. Dann wandte er sich wieder dem Kutscher zu. «Richte aus, dass sie nicht kommt», sagte er mit entschiedener Stimme.
«Aber ich habe Befehl vom Herrn, dass ich mit ihr selbst sprechen soll», protestierte der Kutscher. «Er heißt Hammerstaal.»
Edvard nahm ein paar Münzen aus der Tasche – der Rest des Geldes, das ihm der Norweger gegeben hatte – und warf sie dem Kutscher zu. «Und das hast du hiermit getan», sagte er vielsagend. «Nicht wahr?» Er betrachtete die Geldstücke auf der schmutzigen Handfläche. «Wenn du ihm das ausgerichtet hast, kommst du noch einmal zu mir. Dann kriegst du noch etwas.» Kalt erwiderte er den hoffnungsfrohen Blick des Kutschers. «Sag, dass sie rote Haare und große Brüste hatte.»
Bis zum letzten Augenblick wartete Seth darauf, dass Beatrice zum Hafen kommen und ihm wie versprochen zum Abschied winken würde. Als gerade die Gangway eingezogen werden sollte, bog die Kutsche auf das Hafengelände, die er zu ihr geschickt hatte. Seth hatte den teuersten Wagen genommen, den Henriksson finden konnte, und hatte ihn mit Kissen und Blumen ausstaffieren lassen, was in der schmutzigen Hafengegend ziemlich unpassend aussah. Sein Herz schlug heftig, als er die auffällige Equipage heranfahren sah. Ungeduldig rannte er die Gangway hinunter und riss den Wagenschlag auf.
Doch die Kutsche war leer. Ungläubig sah Seth den Mann auf dem Kutschbock an, der auf einem Zigarettenstummel herumkaute. «Wo ist sie?», rief er.
Der Kutscher zuckte mit den Achseln. «Sie wollte nicht kommen, Herr.»
«Aber ich habe dir doch gesagt, dass du persönlich mit ihr sprechen sollst. Hast du das getan?»
«Ich schwöre es, Herr. Rotes Haar hatte sie.» Mit den Händen zeichnete er eine kurvige Figur in die Luft. «Sie hat es selbst zu mir gesagt.» Er hob die Hand. «Ich schwöre. Das Fräulein hat ‹Nein danke› gesagt und mir die Tür vor der
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