Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
hatten ihn nicht direkt misshandelt, aber sie waren doch unnötig grob gewesen, dachte er und strich sich wütend mit der Hand über das zerzauste Haar.
Endlich öffnete ein Dienstmädchen die Tür, doch sie schien nicht sonderlich beeindruckt, als er sie von oben bis unten musterte. «Ja?», fragte sie, ohne die Tür einen Millimeter weiter als unbedingt notwendig zu öffnen.
Würdevollst reckte er seine ganzen einhundertzweiundsechzig Zentimeter und bedachte sie mit einem kühlen Blick. «Geben Sie Bescheid, dass Doktor Eberhardt da ist. Aus Deutschland. Und dann bringen Sie mich in mein Zimmer.»
Das Dienstmädchen sah ihn unsicher an, und ihm ging auf, dass sie wahrscheinlich kein Deutsch sprach. Die beiden Männer auf der Straße lachten schadenfroh über seine Schwierigkeiten. Das Mädchen zögerte, und er wollte schon zu einer geharnischten Strafpredigt ansetzen, als plötzlich ein junger blonder Mann auf der Schwelle auftauchte.
«Was ist los? Wer sind Sie?», fragte er.
In kühlem Deutsch erwiderte der Arzt: «Mein. Name. Ist. Doktor. Friedrich. Eberhardt. Ich bin unter Drohungen und Gewaltanwendung hierhergebracht worden, und ich habe jetzt bald genug von dieser ganzen Sache. Ich verlange, sofort meine Patientin zu sehen.»
«Ich werde mich darum kümmern», sagte der blonde Mann, der offenbar ganz hervorragend Deutsch verstand.
Das Hausmädchen knickste und huschte davon.
Edvard grinste breit über den wütenden kleinen Deutschen. Wer hätte geglaubt, dass Göteborg so unterhaltsam werden würde? Seit das Dampfschiff vor ein paar Tagen mit Seth Hammerstaal an Bord den Hafen verlassen hatte, hatte er sich gelangweilt, doch jetzt sah es so aus, als würde wieder etwas passieren.
«Treten Sie ein, Herr Doktor, wir wollen doch sehen, ob wir das nicht klären können», sagte er. «Wer hat Sie denn bedroht?»
Der Arzt zeigte auf die Straße, und Edvard sah die Männer, die seinen Blick erwiderten und jeweils lässig die Augenbrauen hochzogen. Sie sahen ziemlich grobschlächtig aus, stellte er fest. Keine kleinen Durchschnittsgauner, sondern richtige brutale Kerle, die einen ausgewachsenen Mann in der Luft zerreißen konnten, wenn ihnen danach war. Edvard schloss die Tür hinter dem Arzt und sah durch das eingelassene Fenster. Die Schurken standen immer noch draußen.
Edvard führte Doktor Eberhardt in den Salon, und es dauerte nicht lange, bis er die seltsame Situation durchschaute. Irgendjemandem (Edvard tippte auf Seth Hammerstaal) war wahrscheinlich gelungen, was keinem anderen geglückt war: Er hatte Doktor Eberhardt aufgespürt, den europaweit besten Spezialisten für Schwangerschaft und Entbindungen. Als der gute Doktor jedoch so gar kein Interesse für eine kranke Frau im barbarischen Schweden zeigte, hatte dieser Jemand den Doktor ganz einfach «überreden» lassen. Mit Hilfe einer ansehnlichen Menge Bargeld und einer Prise körperlicher Gewalt hatten die beiden Verbrecher, die plötzlich vor Eberhardts Tür standen, den Arzt davon überzeugt, dass es diesen Herbst sein allergrößter Wunsch sein würde, nach Göteborg zu reisen und die schwangere Sofia Stjerneskanz kennenzulernen. Jedenfalls wenn er auf die Unversehrtheit all seiner Körperteile Wert legte.
Der Arzt wusste jedoch nicht, wer hinter der skandalösen Entführung steckte. Edvards Gehirn arbeitete auf Hochtouren, als er die Geschichte hörte. Dahinter konnte nur dieser Norweger stecken. Der jetzt weit weg war. Er entschuldigte sich und ging Johan holen.
«Wie ist er hergekommen?», fragte Johan, der immer noch nicht glauben konnte, was sein Schwager ihm eben berichtet hatte.
«Für meine Schwester ist mir kein Opfer zu groß», murmelte Edvard bescheiden.
Das war ja fast schon zu einfach gewesen, dachte Edvard, als er Johans lächerlich dankbaren Gesichtsausdruck sah. Er hätte nie geglaubt, dass Johan diese unerhörte Lüge schlucken würde. Doch wenn die Leute so dumm waren, hatten sie es nicht anders verdient, als dass man sie hinters Licht führte. Er senkte den Kopf, um sein verächtliches Grinsen zu verbergen.
Ein paar Wochen später saß Johan auf einem Stuhl neben Sofias Bett und betrachtete ihre schlafende Gestalt. Seit Doktor Eberhardt gekommen war, hatte sich ihr Zustand noch weiter verschlechtert. In den letzten Tagen waren ihr Gesicht und ihre Hände angeschwollen, und niemand zweifelte mehr daran, dass es sich um eine Schwangerschaftsvergiftung handelte, wie der Arzt schon bei der ersten Untersuchung
Weitere Kostenlose Bücher