Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
wusste er sehr gut. Diese ganze widerliche Affäre würde er nicht mal mit der Kneifzange anfassen. Seiner Meinung nach hatte der Graf sich selbst zu Fall gebracht und war Opfer seines unsittlichen Benehmens geworden. Eine Ermittlung würde nur Beatrice schaden. Er hatte sie einmal verraten, jetzt wollte er sie zumindest vor einem Skandal schützen.
«Dann musst du mir Geld geben», verlangte Edvard.
Hjalmar senkte müde den Kopf. «Das ist das Letzte, was ich jemals für dich tun werde», antwortete er. «Das Letzte.»
*
«Sie weigert sich, mit zu uns zu kommen, aber sie kann doch nicht allein hierbleiben. Hjalmar ist am Boden zerstört, weil er ihr damals nicht geglaubt hat. Und ich mache mir solche Sorgen», flüsterte Karin Miss Mary zu. «Können Sie ihr nicht gut zureden? Sie hat Ihnen doch immer vertraut, nicht wahr?»
Mary Highman betrachtete die stille Gestalt im Bett und schüttelte bekümmert den Kopf. «Auf mich hört Beatrice genauso wenig, ich habe auch schon versucht, ihr …»
«Hört auf zu flüstern. Ich bin doch kein Kind», fauchte Beatrice. Sie stemmte sich von ihrem Kissen hoch. «Ihr braucht meine Zukunft nicht zu planen, ich brauche eure Hilfe nicht. Ich komme ganz wunderbar ohne euch zurecht.»
Besorgt wechselten Mary und Karin einen Blick. Das leere Starren und die Stummheit der ersten Woche waren einem unberechenbaren Zorn gewichen. Sie hatten keine Ahnung, wie sie mit ihr umgehen sollten.
«Sofia kommt heute, das wird bestimmt schön», bemerkte Karin in gespielt munterem Ton.
Beatrice wandte sich ab. «Ich bin müde, lasst mich in Frieden.»
Karin hob die Hand, um ihr über die Wange zu streichen, hielt jedoch inne, als Beatrice sichtlich erstarrte. Noch immer durfte sie niemand anfassen.
«Wie lange soll das noch so weitergehen?», fragte Karin leise, als sie mit Mary das Zimmer verließ. «Der Alte ist tot und begraben …» Sie bekreuzigte sich kurz. «… Die finanziellen Fragen sind geregelt, und die blauen Flecken sind verschwunden. Sollte sie sich mittlerweile nicht erholt haben?» Sie schüttelte den Kopf. «Manchmal habe ich fast Lust, sie zu packen und zu schütteln, um ihr irgendeine Reaktion zu entlocken. Und ihr Haar … Es ist einfach ein Jammer. Das arme Kind.»
«Es wäre besser, wenn sie weinen könnte», meinte Mary. «Wenn sie nicht im Bett liegt und in die Luft starrt, läuft sie im Haus herum wie ein Gespenst. Wussten Sie, dass sie all ihre Kleider verschenkt hat? Alles, was er und Wilhelm ihr jemals geschenkt haben.» Mary rang die Hände. «Aber sie kauft sich auch nichts Neues, sie läuft einfach nur in diesen alten Lumpen herum.»
Karin nickte bekümmert, während sie den Flur überquerten. «Gestern hat sie mit Hjalmar gesprochen. Sie hat ihn gebeten, die Verhältnisse in den Fabriken des Grafen unter die Lupe zu nehmen, um sich zu vergewissern, dass es den Arbeitern gutgeht.»
Karin zuckte mit den Schultern. «Dagegen ist an sich ja nichts zu sagen, aber sie kümmert sich mehr um die Mädchen in den Fabriken als um sich selbst, das ist doch nicht gesund.»
Sie öffnete die Tür zum Salon und klingelte. Kerstin erschien, und Karin bat sie freundlich um ein wenig Tee, bevor sie sich wieder dem Gespräch mit Mary zuwandte. «Hast du von den früheren Frauen des Grafen gehört?», fragte sie.
«Ja», sagte Mary. «Wie es aussieht, hat Beatrice ja sogar noch Glück gehabt.»
«Wir können nur hoffen, dass Sofias Besuch sie etwas aufheitert.»
Nachdem Mary und Karin gegangen waren, sah sich Beatrice teilnahmslos in dem Zimmer um, das sie jetzt als Schlafzimmer nutzte. Das große Schlafzimmer hatte sie verriegeln lassen, das grüne Eisenbett war abgebaut worden. Trotzdem war ihr, als könnte sie immer noch die ekelhafte Gegenwart des Grafen in den Wänden spüren.
Sie war angezogen und dachte, dass sie wohl aufstehen und irgendetwas tun sollte – aber was? Ihr kam alles so sinnlos vor. Die hässlichen Wunden und Blutergüsse im Gesicht waren verblasst, ihre Kehle schmerzte nicht mehr beim Schlucken, und es hatte auch aufgehört, da unten wehzutun – doch es schien, als könnte sie innerlich einfach nicht heilen.
Müde rieb sie sich die Augen. Sie brannten, weil sie schon so lange nicht mehr richtig geschlafen hatte. Eigentlich sollte sie dankbar sein, dachte sie. Sie hatte die Misshandlungen überlebt, sie war nicht schwanger, und er war weg – für immer weg. Sie wusste, dass die anderen, Mary und Karin, vielleicht auch Kerstin, der
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