Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
liebenswert», fauchte sie und sah Vivienne gereizt an. «Wenn du mich entschuldigst, ich gehe zu Alexandre und unterhalte mich ein bisschen mit ihm.» Mit diesen Worten ging sie davon.
Nachdenklich sah Vivienne ihrer Freundin nach. Und mit einem Seufzer stellte sie fest, dass Seth Hammerstaal dasselbe tat. Der Arme, er sah völlig schockiert aus. Es war wirklich dumm, ihm nichts zu sagen.
Sie beobachtete, wie Beatrice den Prinzen anstrahlte, der sie spielerisch an ihren widerspenstigen Locken zog. Wieder warf Vivienne einen verstohlenen Blick zu Seth. Über seinen mahlenden Kiefern zuckte ein Muskel. Sie verdrehte die Augen und machte sich auf die Suche nach Jacques. Sie war in der Laune, jemand auszuschelten, und Jacques war genau der Richtige dafür.
«Du bist größer geworden.»
Beatrice blinzelte ihn erstaunt an, und Seth hätte sich die Zunge herausreißen können. Beim Abendessen hatten sie weit voneinander entfernt gesessen, und nach ihrer ersten Begrüßung hatten sie kein Wort mehr gewechselt.
Und jetzt … Du bist größer geworden. Ein idiotischerer Kommentar war ihm wohl nicht eingefallen.
Beatrices Augen glänzten. Ohne seinen Blick loszulassen, ließ sie die Hand über die Hüfte nach unten gleiten und hob den Rock ein wenig an. «Hohe Absätze», sagte sie mit einem angedeuteten Lächeln.
Sein Blick glitt in schwindelerregender Fahrt über die rote Seide nach unten. Er sah einen schmalen Knöchel und dünne Strümpfe. Die Schuhe mit den hohen Absätzen waren mit Juwelen besetzt, und die Steine glitzerten, wenn sie den Fuß bewegte. «Siehst du?»
Er sah.
Nonchalant ließ Beatrice den Saum wieder sinken. Sie nippte an ihrem Wein und sah ihn unter gesenkten Lidern herausfordernd an. Ihre Wimpern wirkten doppelt so lang wie früher, stellte er fest. Jetzt sollte er aber wirklich langsam etwas Intelligentes sagen.
«Und dein Haar ist kürzer.»
Beatrices Augen begannen zu lachen, und er spürte, wie sein gefrorenes Herz ein wenig antaute, obwohl ihm seine idiotische Konversation immens peinlich war. Beatrices Lächeln hätte schon immer einen Toten wärmen können. Gerade wollte er noch etwas hinzufügen, als Alexandre dazukam und sie unterbrach.
« Bon soir , Monsieur Hammerstaal», sagte der Prinz und legte Beatrice mit einem Zwinkern eine Hand um die Taille. «Ich hoffe, ich störe nicht?», fragte er fröhlich.
Seth murmelte etwas Unverständliches, und Beatrice hob die Augenbrauen. Er verbeugte sich steif und ging davon. Das Letzte, was er hörte, war Prinz Alexandres Frage: «Sind die Norweger eigentlich alle so schweigsam?»
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35
Am nächsten Morgen herrschte perfektes normannisches Herbstwetter. Die Luft war frisch und klar, und auf dem Schlossplatz hatte sich eine Gesellschaft von knapp zwanzig Personen eingefunden, um nach Rouen zu fahren. Wagen, beladen mit Erfrischungen, sollten sie begleiten, doch die meisten entschieden sich, den kurzen Weg nach Rouen zu Fuß zurückzulegen.
In der Nacht hatte Seth sich vom Schock des Wiedersehens mit Beatrice erholt, und er wusste, was er seiner Gastgeberin und Lily schuldig war. Der Aufenthalt würde reibungslos verlaufen, redete er sich ein. Er war hier, und demnächst würde er Lily heiraten. Beatrice und der unablässig lächelnde D’Aubigny waren offensichtlich ein Paar. Und warum auch nicht? Sie alle hatten weitergelebt, wie zivilisierte Menschen das eben so machten. Und es war ja nur eine Woche, dann würden Lily und er wieder abreisen. Seth sah sich auf dem lauten Platz um, auf dem es von vergnügten Menschen und picknickkorbgefüllten Wagen wimmelte.
Er hielt nicht nach Beatrice Ausschau. Nicht im Geringsten.
Lily trug ein hyazinthblaues Kleid und einen kleinen Sonnenschirm in verschiedenen Blautönen und unterhielt sich angeregt mit Alexandre, der die Exkursion anscheinend leiten sollte. Der Prinz gestikulierte lebhaft, und Seths zukünftige Frau sah ihn fasziniert an. Weitere Gäste schlossen sich der Gesellschaft an, und Lancelot und Daniel, die bereits die besten Freunde waren, tollten zusammen herum, doch von Beatrice war weit und breit nichts zu sehen. Würde sie nicht mitkommen? Er sollte nicht enttäuscht sein. Aber er war es.
«Wartet auf mich.»
Als er die fröhliche Stimme hörte, begann Seths Herz wie verrückt zu klopfen. Beatrice ging an ihm vorbei und lächelte freundlich, bevor sie zu Alexandre trat, der ihre ausgestreckten Hände mit einem breiten Lächeln ergriff.
Alexandre ging an
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