Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
frostig zurück. «Ich bitte um Verzeihung, wenn ich mich undeutlich ausgedrückt habe. Ich wollte vielmehr sagen, dass du mich hinters Licht geführt hast.» Sie warf den Kopf in den Nacken. «Man kann nur hoffen, dass du Lady Tremaine besser behandelst. Weiß die zukünftige Frau Hammerstaal eigentlich, dass sie gestern einer deiner ehemaligen Liebhaberinnen vorgestellt wurde? Oder ist sie mit diesem Teil deiner Vergangenheit nicht vertraut?»
Ah, wie gut es doch tat, das einfach aussprechen zu können, dachte Beatrice und trat gegen einen Stein.
Sie hatte überhaupt nicht vorgehabt, eine Szene zu machen und ihm zu zeigen, dass er sie verletzt hatte, doch es fühlte sich so gut an, einmal die Meinung zu sagen, statt immer nur in würdevollem Schweigen zu leiden. Sie hatte sich zwar vorgenommen, die Woche über ganz ruhig und distanziert zu bleiben und Abstand zu Seth zu halten – aber Ruhe und Distanziertheit waren noch nie ihre starke Seite gewesen.
Seth starrte geradeaus. Er sagte nichts, sah aber überhaupt nicht amüsiert aus.
Dann wandte er sich zu ihr, und es schien, als wollte er etwas sagen, doch in diesem Moment wurden sie von verzweifelten Rufen von der Spitze des Zuges unterbrochen. Lily schrie irgendetwas, und Seth bedachte Beatrice noch mit einem kurzen Blick, bevor er zu seiner Verlobten eilte.
Beatrice folgte ihm. Irgendetwas war mit Lilys Sohn passiert.
«Das wollte ich nicht», hörte sie Lancelot sagen. Der französische Zehnjährige stand bleich und gefasst neben Daniel, der still weinend auf dem Boden saß. Lily ging neben ihnen in die Hocke. Lancelot war kreideweiß im Gesicht und kämpfte offenbar mit den Tränen.
«Er ist gestolpert, ich hab nichts gemacht», fuhr der Zehnjährige mit zitternder Stimme fort.
«Es war ein Unfall, das weiß ich doch», tröstete ihn Lily, während sie versuchte, ihren eigenen Sohn zu beruhigen.
Seth bahnte sich einen Weg durch die aufgeregte Menge. «Was ist passiert?»
«Daniel ist gestolpert und in diese Büsche da gefallen.»
Rasch untersuchte Seth Beine, Arme und Gesicht des Jungen. «Stechpalme», stellte er fest. «Das kann ziemlich übel werden. Er muss zurück zum Schloss.»
Alexandre hatte bereits einen der Wagen geholt, und Seth hob Daniel hinein. Danach half er Lily auf die Kutsche. «Ich bringe sie zurück. Können Sie nach einem Arzt schicken?»
«Schon passiert», sagte Alexandre. «Soll ich nicht mitkommen?»
Seth schüttelte den Kopf und nickte dem Kutscher zu. «Ich komme schon allein zurecht», antwortete er kurz, stieg auf und setzte sich neben Lily. Das Letzte, was Seth sah, war, wie Alexandre den Arm beschützend um Beatrice legte und sie sich an ihren stattlichen jungen Prinzen lehnte.
Seth schloss die Augen. Er saß in einem Wagen mit seiner zukünftigen Frau und seinem zukünftigen Stiefsohn. Er hatte kein Recht, eifersüchtig zu sein. Aber er war es. Und es tat schrecklich weh.
Als Prinz Alexandres Gesellschaft von ihrem Ausflug zurückkehrte, war es schon früher Abend. Seth stand vor dem Haus und rauchte eine Zigarre, als die Gäste aus den Wagen stiegen. Beatrice sah ihm in die Augen, während man ihr heraushalf, und Seth spürte, wie sein Herz zu flattern begann. Er versuchte, nicht darauf zu achten, wie rosig sie aussah, wie die Abendsonne die kurzen Locken glänzen ließ und wie sein Körper automatisch auf ihre Gegenwart reagierte.
Beatrice hielt seinen Blick fest und ging direkt auf ihn zu. Seth schluckte, und einen schwindelerregenden Augenblick lang bildete er sich ein, dass sie ihn umarmen und küssen wollte. Er hielt die Luft an, doch Beatrice lächelte nur höflich. Er runzelte die Stirn und dachte an ihren Streit. Was hatte sie eigentlich gemeint, als sie sagte, sie habe auf ihn gewartet? Das konnte ja wohl kaum wahr sein.
«Wie geht es Daniel?», erkundigte sie sich. «Der arme Lancelot war ganz untröstlich. Glaubst du, er kann hinaufgehen und ihn besuchen?»
«Er hat ziemlich viele Stacheln abbekommen», antwortete Seth. «Aber er wird keine bleibenden Schäden zurückbehalten.» Er wandte sich Lancelot zu, der ihn mit ernsten Augen ansah. «Daniel hat schon nach dir gefragt», sagte er freundlich zu dem Jungen. «Soll ich dich zu seinem Zimmer bringen?»
«Merci, monsieur» , bedankte sich Lancelot leise.
Seth nickte Beatrice zum Abschied kurz zu, bevor er dem Jungen einen Arm um die schmalen Schultern legte und mit ihm ins Haus ging.
Beatrice setzte sich auf ihr Bett und atmete tief aus. Es
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